Die Tulpe des Bösen
verstanden, wie es so weit kommen konnte, daß Menschen ihr ganzes Vermögen für ein paar Tulpenzwiebeln einsetzten.«
»Manche sogar für eine einzige, wenn es ein besonderes Exemplar war.« Willems nahm einen ordentlichen Schluck Bier und lehnte sich zurück. »Ursprünglich war die Lust an der Tulpe ein Vergnügen der Wohlhabenden, aber dann wurde aus diesem Vergnügen ein regelrechtes Fieber, das auch das einfache Volk ergriff. Billige Tulpensorten wurden angeboten, was jedermann den Erwerb von Zwiebeln und den Handel mit ihnen ermöglichte. Aber die mit einem Mal große Nachfrage trieb auch die Preise vormals erschwinglicher Tulpen in die Höhe, und mancher verkaufte für gutes Geld, was er vorher für ein paar lächerliche Stüber erworben hatte. Das weckte den Geschäftssinn der Leute, gleich ob sie nun aus gehobenen oder niederen Kreisen stammten. Tulpen wurden gekauft und weiterverkauft, obwohl es noch nicht einmal die betreffenden Zwiebeln gab. Es wurde mit bloßem Papier gehandelt in der Hoffnung auf das zu Erwartende, und jeder, der gekauft hatte, wollte natürlich zu einem höheren Preis weiterverkaufen.«
Katoen, der aufmerksam zugehört hatte, fragte: »Aber wie kam es zu dem Zusammenbruch?«
»Ganz genau weiß man das nicht. Die Obrigkeit sah dem Treiben schon geraume Zeit mit wachsendem Unbehagen zu: Da wurden Tulpenzwiebeln verkauft, die es noch gar nicht gab, bezahlt mit Geld, das durch den Weiterverkauf überhaupt erst verdient werden mußte. Die gesamte Wirtschaft schien in Gefahr, und es kamen Gerüchte auf, daß der Tulpenhandel verboten werden sollte. Plötzlich wollte niemand mehr Tulpenzwiebeln kaufen, und das ganze Kartenhaus brach innerhalb kürzester Zeit in sich zusammen.«
»Euer Vater hat sich offenbar nicht verspekuliert.«
»Er hat sich nicht an dem Handel selbst beteiligt. Sein Geschäft war es, den Spekulanten sein Haus für ihre Zusammenkünfte zur Verfügung zu stellen. Es gab damals den schönen Brauch, daß bei jedem abgeschlossenen Geschäft der Käufer ein sogenanntes Weingeld zu entrichten hatte, einen halben Stüber pro Gulden, für den gegessen und getrunken wurde. Da ist in der Hochzeit des Tulpenfiebers ordentlich was zusammengekommen.«
»Dann ist Euer Vater zu seiner Geschäftstüchtigkeit ebenso zu beglückwünschen wie zu seiner Zurückhaltung.«
Willems lachte. »Ich als sein Erbe kann Euch nur beipflichten, Mijnheer.«
»Wie kommt es, daß er sein Wirtshaus nach der Tulpenkatastrophe nicht umbenannt hat?«
»Nicht alle fielen damals treulos von ihrer Liebe zur Tulpe ab. Einige der achtbaren Bürger, die ihr Vermögen nicht verloren hatten, fanden sich zu den ›Verehrern der Tulpe‹ zusammen und erwählten unser Wirtshaus als ihr Stammlokal.« Willems war erkennbar stolz darauf, daß diese Zusammenkünfte in seinem Haus abgehalten wurden.
Katoen spielte mit der Holzdose in seiner rechten Hand. »Wer immer hierfür verantwortlich ist, scheint nicht eben auf den guten Ruf der Tulpe bedacht zu sein.«
K APITEL 4
Der Tulpenmörder
A ls Katoen das Wirtshaus Zu den drei Tulpen verließ, fühlte er sich etwas besser als noch eine Stunde zuvor. Das Bier und der Virginia-Tabak hatten ihm gutgetan, und auch der Schmerz in seinem Kreuz hatte deutlich nachgelassen. Dagegen machte ihm bald ein Ziehen in der Magengegend bewußt, daß er noch nichts gegessen hatte. Sobald er den Dam erreichte, das Herz Amsterdams, suchte er eine der vielen Garküchen auf und bestellte einen in Wein gedünsteten Karpfen und dazu einen guten Rheinwein.
Er saß an einem Fenster und verfolgte, während er mit großem Genuß seinen Magen füllte, das rege Treiben auf dem Dam. Zahlreiche Stände füllten den Platz auf dem mittleren Dam, wo an den Wochentagen von morgens bis spätabends der Fischmarkt abgehalten wurde. Die stämmigen Fischweiber priesen lauthals ihre Ware an, ob Hecht, Kabeljau, Lachs, Schellfisch, Heilbutt oder Scholle. Unweit des Fischmarkts drängten sich einheimische und fremde Kaufleute, manche in farbenprächtigen Gewändern, die sich von den dunklen Kleidern der Niederländer abhoben, durch die Eingänge der Börse, um in dem großen Innenhof ihre Geschäfte zu tätigen. Aber das Gewühl rings um die Börse entstand nicht nur durch die Kaufleute, im oberen Geschoß befanden sich auch etliche Läden, in denen Luxuswaren aus aller Herren Länder verkauft wurden: Zutphener Glas, chinesisches Porzellan oder Kupfergeschirr aus den deutschen Landen, lederne Handschuhe,
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