Die Tulpe des Bösen
Unsere Kundschafter in Frankreich melden, Ludwig ziehe insgeheim Truppen ein, um seine Landstreitkräfte auf einen Eroberungskrieg vorzubereiten. Und jetzt diese Morde! Jemand scheint es auf genau jene Herren abgesehen zu haben, auf deren Unterstützung die Niederlande im Kriegsfall angewiesen sind. De Koning war stets bereit, die Verteidigungsanstrengungen mit Geld zu fördern, und auf van Rosvens Werft sind einige unserer besten Kriegsschiffe gebaut worden. Wir müssen verhindern, daß der Mörder unserem Land weiteren Schaden zufügt – und auch, daß die Bevölkerung durch die Morde in Unruhe gerät. Die Lage erscheint ebenso bedrohlich wie vor zwei Jahren, als die Affäre mit den Todesbildern Amsterdam erschütterte. Damals habt Ihr unserer Republik gute Dienste geleistet und uns alle vor einer Katastrophe bewahrt, Katoen. Ich setze großes Vertrauen in Euch, mehr als in jeden anderen meiner Leute. Deshalb bitte ich Euch, die Morde an van Rosven und de Koning aufzuklären. Ihr braucht auf nichts und niemanden Rücksicht zu nehmen, ich halte Euch den Rücken frei!«
Van der Zyl hatte sich weit nach vorn gebeugt und starrte Katoen über seinen Tisch hinweg halb bittend, halb fordernd an. Es war offensichtlich, daß er sich große Sorgen machte.
»Denkt Ihr an gedungene Attentäter, die im Auftrag der Franzosen oder der Engländer handeln?« fragte Katoen.
Der Amtsrichter nickte. »Etwas in der Art, ja.«
Katoens Blick blieb an dem Gemälde hängen, das die Wand zu seiner Rechten schmückte. Es zeigte einen Mann mit hoher Stirn, der, eine Hand auf eine Schiffskanone gestützt, die andere in die Hüfte gestemmt, den Blick des Betrachters stolz erwiderte. Das war Maarten Harpertszoon Tromp, der als Oberbefehlshaber der niederländischen Marine den Feinden der jungen Republik schwere Niederlagen beigebracht hatte. Im Jahr 1639 hatte er die Zweite Spanische Armada, die nach Flandern unterwegs gewesen war, besiegt und damit das Ende der spanischen Seemacht eingeleitet. Später hatte er mit großem Einsatz die Engländer bekämpft, bis ihn 1653 in der Schlacht von Ter Heijde die tödliche Kugel eines Scharfschützen traf. Während er das Bild betrachtete, überkam Katoen das eigenartige Gefühl, daß Tromp ihm aufmunternd zuzwinkerte. Sein Vater hatte unter dem Admiral gedient und in der Schlacht gegen die Zweite Armada sein Leben verloren. Verlangte Tromp jetzt von ihm, daß auch er sein Leben für die Vereinigten Niederlande wagte?
Er lenkte seine Gedanken wieder auf die Gegenwart.
»Erzählt mir mehr von dem ersten Mord, Mijnheer van der Zyl!«
»Es geschah am späten Abend, als die Nachtwächter schon unterwegs waren. Aber sie konnten den Mord an van Rosven ebensowenig verhindern wie den an de Koning. Van Rosvens Leiche ist erst am nächsten Morgen auf dem Gelände seiner Werft entdeckt worden. Niemand weiß, was er bei Nacht da gesucht hat. Auch er wurde durch einen Stich ins Herz getötet, und in seiner Faust fand man das hier.«
Van der Zyl erhob sich, ging zu einem schmalen Schrank und entnahm ihm eine kleine, schmucklose Holzschatulle. Als er sie geöffnet vor Katoen auf den Tisch stellte, sah dieser etwas Dunkles darin liegen. Er nahm es heraus. Es war ein verwelktes Blütenblatt, schwarz und mit roten Tropfen gemustert.
»Dieselbe Tulpensorte«, sagte der Amtsrichter und legte das Blütenblatt, das er bei de Konings Leichnam gefunden hatte, ebenfalls auf den Tisch.
Katoen nahm auch das zweite Blatt hoch und hielt beide nebeneinander. »Eine immense Ähnlichkeit, in der Tat. Aber was will der Mörder uns damit sagen?«
»Vielleicht, daß er es auf die ›Verehrer der Tulpe‹ abgesehen hat. Ihr kennt die Vereinigung gewiß.«
»Ja. Gehört Ihr nicht auch dazu?«
Van der Zyl zog ausgiebig an seiner Pfeife und nickte. »Einige hochstehende Bürger unserer Stadt, denen die schönste Blume der Welt am Herzen liegt, haben sich in der Vereinigung zusammengeschlossen, und ich darf mich dazuzählen. Jeden Montagabend treffen wir uns im Wirtshaus Zu den drei Tulpen in der Jodenbreestraat, wobei unsere Liebe zur Tulpe nicht der einzige Grund der Zusammenkünfte ist. Wir setzen uns für wohltätige Zwecke ein, aber auch wichtige politische und wirtschaftliche Fragen werden dort ganz zwanglos besprochen, was zuweilen ergiebiger ist als eine offizielle Unterredung. Beide, Jacob van Rosven und Balthasar de Koning, haben unserem Kreis angehört, und beide sind an einem Montagabend getötet worden, nachdem sie
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