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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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seidene Taschentücher oder Damastteppiche, Ölgemälde, Radierungen oder Zeichnungen, alles war im Angebot. Katoens Blick wanderte weiter zu dem frei stehenden Gebäude der Stadtwaage, um die herum ein emsiges Kommen und Gehen herrschte, denn jeder Großhändler mußte seine Waren hier zur Steuererhebung wiegen lassen. Auf dem Dam schlug wahrlich das Herz Amsterdams, das Herz der gesamten Niederlande vielleicht, und die bunte, laute Betriebsamkeit ließ ihn für ein paar Minuten vergessen, daß mächtige Feinde das Land bedrohten und daß mitten in dieser Stadt ein Mörder sein Unwesen trieb.
    Die große Glocke im Turm der Börse schlug zur zweiten Nachmittagsstunde und verkündete damit das Ende des Börsentages. Und sie erinnerte Katoen an seine Pflichten. Eilig bezahlte er sein Mahl, trat hinaus auf den Dam und wandte sich dem wuchtigen Neuen Rathaus zu, das mit der gleich nebenan liegenden Nieuwe Kerk um die Vorherrschaft über den Platz zu wetteifern schien. Der prunkvolle viereckige Rathausbau, den man schon als achtes Weltwunder bezeichnet hatte, war erst wenige Jahre zuvor errichtet worden, und der Baumeister Jacob van Campen hatte mehr als dreizehntausend Pfähle in die Erde rammen lassen, um dem Gebäude auf dem Dam, der letztlich nichts anderes war als ein Jahrhunderte zuvor angelegter Deich, einen festen Stand zu geben.
    Für Katoen verkörperte das Rathaus geradezu vollendet die Unbeugsamkeit der Niederländer und ihr unbedingtes Streben nach Ansehen und Erfolg. Auch im Innern war es prächtig, von den marmornen Fußböden bis hin zu den teuren Skulpturen und Gemälden, die man bei den berühmtesten Bildhauern und Malern Amsterdams in Auftrag gegeben hatte. Allerdings war der Innenausbau noch längst nicht fertiggestellt; in irgendeinem Winkel wurde immer gehämmert oder gesägt, und es würde wohl noch einige Jahre dauern, bis alles so aussah, wie der Magistrat es sich vorgestellt hatte. Katoen erschien das, wenn er bei dem Vergleich zwischen diesem Gebäude und der niederländischen Seele blieb, nur passend: Auch der Niederländer war unermüdlich tätig, entwickelte sich weiter, baute Schiffe, errichtete Kolonien in Übersee, betrieb Handel mit allen Kontinenten, war, kurz gesagt, niemals fertig.
    Katoen empfand sich als kleinen und doch wichtigen Bestandteil dieses geschäftigen Mechanismus, auch wenn er keine Schiffe baute, keine Waren herstellte, nicht zur See fuhr und keine fremden Gestade erforschte. Er sorgte für Sicherheit und Ordnung in Amsterdam, der wichtigsten Stadt der Sieben Provinzen, und trug damit auf seine Weise dazu bei, das große Ganze zusammenzuhalten. Das erfüllte ihn mit Zufriedenheit, und er war fest entschlossen, alles dafür zu tun, daß Amsterdam eine Stadt blieb, in der die Bürger sich ohne Furcht vor inneren oder äußeren Feinden bewegen konnten.
    Im Schatten des Rathauses traf er seine beiden Büttel, die er am Morgen erneut ausgeschickt hatte, rund um die Zuiderkerk nach möglichen Zeugen des Mordes an Balthasar de Koning zu suchen. Als er sie nach dem Ergebnis ihrer Arbeit fragte, zogen sie lange Gesichter.
    »Von Tür zu Tür sind wir gegangen und haben mit jedem gesprochen, den wir antrafen«, seufzte Joris Kampen und wischte, wie zum Beweis der vollbrachten Anstrengung, mit dem Ärmel seines Wamses eingebildeten Schweiß von seiner hohen Stirn. »Aber so gut wie niemand hat etwas mitbekommen.«
    »Was heißt so gut wie niemand?« fragte Katoen.
    Jan Dekkert ergriff das Wort: »Den Mord selbst hat niemand gesehen, aber der Seidenhändler Ephraim da Costa aus der Anthonisbreestraat glaubt, Balthasar de Koning etwa an der Stelle gesehen zu haben, wo sein Leichnam gefunden wurde, und zwar ungefähr zu der Zeit, zu der de Koning das Wirtshaus Zu den drei Tulpen verlassen hatte. Da Costa befand sich selbst auf dem Heimweg und hat sich deshalb nicht länger aufgehalten. Doch er meint, daß der Bankier mit einer Frau gesprochen hat.«
    »Er glaubt und er meint«, ächzte Katoen. »Das hört sich nicht sonderlich verläßlich an.«
    »Ich denke schon, daß die Aussage verläßlich ist«, fuhr Dekkert fort. »Es war spät, und da Costa war in Eile, hat deshalb nicht so genau hingesehen. Darum möchte er sich ungern festlegen. Aber ich halte ihn für einen gewissenhaften Mann und zuverlässigen Zeugen.«
    »Hat er mitbekommen, worüber de Koning und diese Frau gesprochen haben?«
    »Nein, leider nicht. Er hat noch nicht einmal das Gesicht der Frau gesehen.«
    »Eine

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