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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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ins Gewicht.«
    Katoen blieb stehen und wandte sich zu den beiden um. »Ich glaube eher, er trauert um jede einzelne Pflanze, die bei Eurem Abenteuer abgeknickt oder zertrampelt wurde. Getötet, würde er wohl sagen.«
    »Ja, das tut er sicher«, seufzte Anna. »Er liebt die Tulpen mit ebensolcher Inbrunst, wie mein Vater sie haßt. Leidenschaft ist ein heißes Feuer, gleich, ob das Gute oder das Schlechte in ihr brennt.«
    »Wer ist für Euch der Gute und wer der Schlechte?«
    Ohne zu zögern, antwortete Anna, die hinter ihrem Vater auf dem Pferd saß und ihn umschlungen hielt, wie um ihn zu beschützen: »Meine Meinung ist in dieser Frage nicht maßgeblich. Jeder der beiden ist aus seiner Sicht der Gute und hält den jeweils anderen mit einiger Berechtigung für den Bösen. Willem van Dorp hat sein Vermögen mit dem Kauf und Verkauf von Tulpenzwiebeln gemacht, kurz bevor der unselige Handel in sich zusammenbrach. Da nimmt es nicht wunder, daß er die Tulpen über alles liebt. Mein Vater dagegen hat durch das plötzliche Ende der Tulpenspekulation sein gesamtes Vermögen und damit sein Ansehen verloren. Aus Gram darüber ist ihm die Frau gestorben. Ist es da nicht verständlich, daß er die Tulpen und alle, die durch sie zu Reichtum und Ansehen gelangt sind, haßt?«
    Während Anna noch sprach, fiel Katoen plötzlich wieder ein, woher er den Namen Swalmius kannte: Geert Willems, der Wirt der Drei Tulpen, hatte ihn erwähnt.
    »Euer Vater besaß einmal ein Haus in der Jodenbreestraat, nicht wahr?«
    »Ja, aber das ist lange her, viele Jahrzehnte, so lange, daß es kaum mehr wahr zu sein scheint.«
    Wenn Swalmius’ Frau damals gestorben war, mußte Anna noch sehr klein gewesen sein, ein Säugling. Oder sie war älter, als sie aussah. Auf jeden Fall hatte sie sich gut gehalten, und die wenigen Falten in ihrem schmalen Gesicht unterstrichen nur die Entschlossenheit ihres Ausdrucks. Im Augenblick allerdings schaute sie sorgenvoll drein, und ein Schatten lag über ihrem Gesicht. Daß sie sich so liebevoll ihres Vaters annahm, rührte ihn, und er mußte sich eingestehen, daß er nicht nur von ihrem klaren, schönen Gesicht und ihrem schlanken Körper beeindruckt war, sondern auch von ihrem Wesen.
    »Sorgt Euch nicht länger, Anna, ich will Euren Vater nicht anzeigen.«
    »Aber bei van Dorp habt Ihr doch gesagt, Ihr …«
    »Das habe ich nur gesagt, um Euch möglichst rasch und unbehelligt von seinem Anwesen fortzubringen. Ich wollte vermeiden, daß van Dorp sich weiter aufregt. Meine Hoffnung ist, daß sein Zorn in den nächsten Tagen verraucht und er davon absieht, Euch und Euren Vaters, wegen Eures Vordringens in seinen Garten zu behelligen.«
    »Und wenn nicht?«
    Er lächelte. »Dann dürft Ihr Euch um so glücklicher schätzen, den Amtsinspektor Jeremias Katoen zu Euren Freunden zu zählen.«
    Er brachte die beiden zu ihrer kleinen Wohnung in einem heruntergekommenen Mietshaus im Jordaanviertel. In dieser Gegend wohnte in der Regel nur, wer sich nichts Besseres leisten konnte. Die Wohnung von Sybrandt Swalmius und seiner Tochter bestand genaugenommen aus einem einzigen Zimmer. Die winzige Kammer, die daran angrenzte und Anna als Schlafstatt diente, ein zweites Zimmer zu nennen wäre anmaßend gewesen.
    Sie legten ihre nassen, verschmutzten Überkleider ab, und Anna schenkte aus einer nicht mehr ganz heilen Karaffe Kirschlikör in drei Gläser. Der Likör brannte im Rachen wie Feuer und schmeckte ansonsten nur scheußlich, aber Katoen ließ sich das nicht anmerken und lobte das Getränk höflich, woraufhin Anna es sich nicht nehmen ließ, ihm ein zweites Glas einzugießen.
    Während er tapfer trank, hatte Katoen Gelegenheit, sich ausgiebig in dem Zimmer umzusehen. Feuchte Flecke bildeten an den Wänden ein groteskes Muster. Das einzige Fenster war halb blind und so klein, daß es bei dem schlechten Wetter in dem Zimmer so düster war, als sei die Abenddämmerung schon über Amsterdam hereingebrochen. Obwohl auf dem Tisch eine kleine Schale stand, in der ein unförmiger, mit einem Docht versehener Talgklumpen wohl so etwas wie eine Kerze darstellen sollte, machten weder Anna noch ihr Vater Anstalten, sie zu entzünden. Aus Sparsamkeit, wie Katoen annahm. Aber bei alldem war die kleine Wohnung sauber, was sicher Anna zu verdanken war.
    Wer einmal ein prächtiges Haus in der Jodenbreestraat besessen hatte, für den mußte dieses Loch wie die schlimmste Kerkerzelle sein. Aber Anna erinnerte sich vermutlich kaum an das

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