Die Tulpe des Bösen
versuchte, sich mit Hilfe der Frau aufzurichten. Doch kaum wollte er auf die Beine kommen, tat der abwechselnd bellende und knurrende Hund einen Satz nach vorn und brachte ihn erneut zu Fall.
Van Dorp blieb kurz vor dem Tulpenbeet stehen und schrie: »Swalmius! Das ist dieser verdammte Swalmius! Wenn er sich weiter so in dem Beet herumwälzt, zerstört er noch meinen ganzen Bestand an ›Königin Kleopatra‹!«
›Königin Kleopatra‹ war offenbar der Name, den van Dorp seiner blau-gelben Tulpensorte gegeben hatte, getreu dem alten Züchterbrauch, die Blumen mit möglichst hochtrabend klingenden Namen zu versehen. Jahre zuvor hatte Katoen einmal im Wirtshaus ein Gespräch zwischen zwei Tulpenzüchtern mit angehört, in dem es von Admiralen, Generalen, Königinnen und selbst Kaisern unter den Tulpen nur so gewimmelt hatte.
»Wenn Ihr Eure Tulpen schützen wollt, pfeift Euren Hund zurück!« riet er dem aufgebrachten van Dorp, dachte dabei aber eher an Leib und Leben der beiden Fremden. »Durch das Hin und Her mit dem rasenden Köter gehen die meisten Pflanzen kaputt.«
»Ihr habt recht«, sagte der Tulpenzüchter und wies Ebbo an, den Hund wegzubringen.
Als Ebbo sich mit dem widerstrebenden Tier entfernte, konnte sich der Mann namens Swalmius endlich aufrappeln. Er war von Kopf bis Fuß mit Erde und Pflanzenteilen bedeckt. Der Name Swalmius kam Katoen bekannt vor, aber er konnte ihn nicht einordnen.
»Hast du dir etwas getan, Vater?« fragte die Frau, die selbst etwas mitgenommen wirkte. »Bist du verletzt?«
Der Alte klopfte sich wacker den Schmutz von den dunklen, alles andere als taufrischen Kleidern. »Es geht schon, Anna, es geht schon. Warum bist du mir bloß gefolgt? Ich allein hätte viel weniger Aufsehen erregt!«
»Glaubst du etwa, der Hund hätte dich allein nicht aufgespürt?« fragte die Frau ungläubig.
»Er ist nicht nur von dem Hund entdeckt worden, sondern hat auch eine Warnglocke ausgelöst«, erläuterte van Dorp mit sichtlicher Befriedigung. »Ich bin gegen Diebe und Halunken bestens gewappnet, auch gegen einen unverbesserlichen Tulpenhasser wie Euch, Sybrandt Swalmius. Merkt Euch das ein für allemal! Und glaubt nicht, Euer Eindringen hier würde ohne Nachspiel bleiben. Neben mir steht ein Amtsinspektor, und der wird Eure Tat zur Anzeige bringen!«
Jetzt erst bemerkte Katoen das feine Gespinst von Drähten, das die Tulpenbeete durchzog und, wenn es unachtsam berührt wurde, die Warnglocke hinter dem Haus in Gang setzte. Vermutlich gab es vor dem Haus und an den Seiten entsprechende Vorrichtungen.
Die Frau, deren Kleidung ebenso schlicht und abgetragen war wie die ihres Vaters, wandte sich an den Tulpenzüchter. »Seht doch bitte von einer Anzeige ab, Mijnheer van Dorp! Ihr wißt, daß mein Vater zuweilen ganz von Sinnen ist, wenn es um die Tulpen geht. Er hat heute im Volksblatt von den Tulpenmorden gelesen, und danach war er nicht mehr zu halten. Sein ganzer Haß auf die Tulpen ist wieder ausgebrochen. Bitte, habt Verständnis!«
Angewidert verzog van Dorp das Gesicht. »Haß auf Tulpen? Wie sollte ich dafür Verständnis haben? Seht Euch doch das Beet an, völlig zertrampelt! Ersetzt Euer Vater mir etwa den Schaden? Er ist doch arm wie eine Kirchenmaus. Nein, nein, ich bestehe darauf, daß der Amtsinspektor sich der Sache annimmt!« Bei den letzten Worten bedachte er Katoen mit einem auffordernden Blick.
»Das werde ich«, sagte Katoen und wandte sich an die beiden Eindringlinge. »Ihr kommt aus Amsterdam, nehme ich an?« Als die Frau nickte, fuhr er mit aufgesetzter Strenge fort: »Dann werde ich Euch dahin zurückbringen, bevor Ihr hier weiteres Unheil anrichten könnt.«
»Mein Vater ist vollkommen erschöpft«, erwiderte Anna Swalmius. »Er kann jetzt unmöglich nach Amsterdam zurückgehen.«
»Ich habe ein Pferd, darauf kann er reiten. Und Ihr ebenso.«
So kam es, daß Vater und Tochter Swalmius kurz darauf auf der grauen Stute saßen, während Katoen das Tier am Zügel zurück nach Amsterdam führte und meinte, bei jedem Schritt tiefer im Schlamm zu versinken.
Der Marsch nach Amsterdam verlief schweigend. Erst als die Mauern der Stadt in Sichtweite kamen, hörte Katoen von hinten die angenehme Stimme der Frau: »Könnt Ihr nicht von einer Anzeige absehen, Herr Amtsinspektor? Mein Vater ist wirklich ein armer Mann, van Dorp dagegen schwimmt geradezu im Geld. Gewiß, ihm ist etwas Schaden in einem seiner Tulpenbeete entstanden, aber wirtschaftlich fällt das für ihn nicht
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