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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Er wollte das Gespräch, das Nicolaas van der Zyl mit Joan Blaeu führte, nicht stören, und nickte ihr deshalb nur aus der Ferne zu. Ihre Erwiderung bestand ebenfalls in einem Nicken, das sehr knapp ausfiel. Ihr Bruder sah es trotzdem und kam, um Katoen zu begrüßen. Catrijn schien ihm eher widerwillig zu folgen.
    »Schön, daß Ihr da seid, lieber Jeremias«, begrüßte der Amtsrichter ihn. »Gehen wir hinein, der Gottesdienst fängt gleich an. Zum Plaudern ist hinterher noch Zeit genug.«
    Nachdem auch Katoen und Catrijn einander auf sehr förmliche Art begrüßt hatten, betraten sie die Kirche. Seit dem großen Feuer von 1645, bei dem sie im Innern vollständig ausgebrannt war, haftete der Nieuwe Kerk ein strenger Brandgeruch an. Selbst jetzt noch, mehr als fünfundzwanzig Jahre nach dem Unglück, sorgte er für ein unangenehmes Kitzeln in den Nasen.
    Der Prediger auf der von Albert Vinckenbrinck in fünfzehnjähriger Arbeit geschnitzten Kanzel, die im Vergleich zur übrigen Ausstattung der Kirche äußerst prunkvoll wirkte, verkündete eine halbe Stunde lang die neuesten amtlichen und kirchlichen Bekanntmachungen und sprach dann über die christlichen Tugenden Fleiß und Genügsamkeit, die seiner Darlegung nach auch die Tugenden eines jeden guten Amsterdamer Bürgers waren. Predigten wie diese hatte Katoen oft gehört, und irgendwann nahm er die Worte gar nicht mehr im einzelnen wahr. Statt dessen sah er immer wieder an Nicolaas van der Zyl vorbei zu Catrijn hinüber, die ihn jedoch keines Blickes würdigte. Vielleicht lauschte sie andächtig, vielleicht ignorierte sie ihn aber auch bewußt. Ihr Gebaren vor der Kirche ließ eher auf letzteres schließen.
    Nach dem Gottesdienst, der fast drei Stunden gedauert hatte, strömten die Menschen, begleitet von den feierlichen Klängen der vergoldeten Orgel, ins Freie, wo inzwischen schönster Sonnenschein herrschte. Vor der Kirche bildeten sich zahlreiche kleine Gruppen; die Amsterdamer tauschten sich über die Predigt und die jüngsten Ereignisse aus.
    Nicolaas van der Zyl nahm Katoen beiseite und fragte: »Habt Ihr für morgen abend alles vorbereitet?«
    »Alles wie besprochen, aber ich weiß nicht, ob wir das Richtige tun.«
    »Was könnte schiefgehen, wenn Ihr Eure Leute rings um die Drei Tulpen postiert?«
    »Wir dürfen das Netz nicht zu engmaschig knüpfen, sonst wird der Mörder gewarnt. Ein gewisses Risiko bleibt, und wenn er tatsächlich ein Opfer fände, wäre das katastrophal.«
    Das eben noch so zuversichtliche Gesicht des Amtsrichters nahm einen düsteren Ausdruck an. »Da habt Ihr allerdings recht, Jeremias. Aber ich vertraue auf Euch und Eure Männer. Ihr steht mir dafür gerade, daß nicht noch ein ›Verehrer der Tulpe‹ von diesem Irren niedergemetzelt wird.«
    »Ja, natürlich«, seufzte Katoen, und jetzt war es an ihm, ein düsteres Gesicht zu ziehen, behagte es ihm doch gar nicht, daß van der Zyl die gesamte Verantwortung so geschickt auf ihn abwälzte. »Wenn wir es denn wenigstens mit einem Irren zu tun hätten!«
    »Wieso?«
    »Ein Irrsinniger würde vielleicht einen Fehler begehen, der es uns erlaubt, ihn zu fassen. Leider habe ich den Eindruck, daß dieser Mörder sehr planvoll handelt und nichts dem Zufall überläßt.«
    »Dann tut es ihm gleich, und Ihr werdet ihn morgen vielleicht schon im Geißelkeller verhören!« Van der Zyl winkte seine Schwester heran, die sich mit ein paar Damen aus höchsten Kreisen unterhalten hatte. »Catrijn, mein Herz, wollen wir unseren Freund Jeremias zu einem kleinen Mahl und einem gemütlichen Nachmittag am Damrak einladen?«
    Bevor sie noch antworten konnte, sagte Katoen schnell: »Es tut mir leid, aber ich habe schon etwas vor.«
    Catrijn musterte ihn skeptisch und wandte sich dann an ihren Bruder: »Hast du ihn etwa mit Arbeit überhäuft, Nicolaas?«
    »Für heute nicht.«
    Katoen setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. »Ich habe eine Verabredung.«
    »Mit einer Frau, vermute ich«, sagte Catrijn schnippisch.
    »Nein, mit einem Kind.«
    »Mit einem Kind?« wiederholte sie und runzelte ungläubig die Stirn. »Bezeichnest du die Tochter des Tulpenhassers Swalmius als Kind?«
    »Wieso sprichst du von ihr?«
    »Weil sie wohl deine Verabredung ist.«
    »Das ist sie nicht. Wie kannst du so etwas behaupten?«
    »Gestern noch bist du mit ihr zusammengewesen. Gar nicht weit von hier seid ihr beide gesehen worden.«
    Auf einmal begriff er, wie Catrijn zu ihrem Verdacht kam. Hatte er also am Abend zuvor doch

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