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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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in Gesellschaft einer Frau gesehen haben will. Damit seid Ihr meine Hauptverdächtige.«
    »Ihr vergeßt die Tulpenblätter! Wäre ich diejenige, die sie den Toten in die Hand gedrückt hat, hätte ich die Tulpe des Bösen doch bereits aufgespürt.«
    »Vielleicht habt Ihr noch nicht alle Exemplare gefunden, oder aber Ihr wollt trotzdem Eure Rache an den ›Verehrern der Tulpe‹ vollenden.«
    »Hätte ich Euch dann meine Geschichte so offen erzählt?«
    »Das wiederum ist der Punkt, der für Euch spricht.«
    »Ihr nehmt mich also nicht fest?«
    »Nein. Ich gehe lieber hier draußen mit Euch spazieren, als mich im Geißelkeller des Rathauses mit Euch zu unterhalten.«
    »Aber verdächtigen tut Ihr mich dennoch, nicht wahr?«
    »Ein wenig, ja. Daß Ihr den Tod Eurer Eltern rächen wollt, ist ein starkes Motiv. Es ist schwer für ein Kind, die Eltern zu verlieren.«
    »Das klingt, als wüßtet Ihr aus eigener Erfahrung, wovon Ihr sprecht.«
    »Genauso ist es«, erwiderte er und erzählte ihr vom Tod seines Vaters und seinen Jahren im Waisenhaus.
    Warum er sich ausgerechnet Anna offenbarte, wußte er selbst nicht so recht, schließlich stand sie im Verdacht, de Koning und van Rosven ermordet zu haben oder zumindest in die Morde verwickelt zu sein. Aber auf einer anderen Ebene hatte er Zutrauen zu ihr gefaßt wie selten zuvor zu einem Menschen und hoffte inständig, sie möge unschuldig sein.
    »Ihr hattet auch keine leichte Kindheit«, sagte Anna. »Den Vater zu verlieren, nachdem schon die Mutter so früh gestorben ist, stelle ich mir schlimm vor. Vielleicht ist das sogar noch schlimmer, als Vater und Mutter auf einen Schlag zu verlieren.«
    »Meine Mutter ist nicht gestorben, jedenfalls war sie es damals nicht«, sagte er und spürte, wie seine Kehle plötzlich rauh wurde, als wehrte sich etwas in ihm gegen das, was er Anna erzählen wollte. »Sie hat uns verlassen.«
    »Verlassen? Warum das?«
    »So richtig habe ich es nie verstanden und mein Vater wohl auch nicht. Natürlich war er viel auf See, und daß er so viel weg war, mag dazu beigetragen haben, daß meine Mutter sich einsam und unglücklich fühlte. Onkel Adalbert sagt immer, sie habe schlechtes Blut in sich gehabt, und vielleicht ist da was dran.«
    »Schlechtes Blut? Ihr sprecht in Rätseln.«
    »Sie war eine Dirne, als mein Vater sie kennenlernte, und als sie ihn verließ, war sie wieder eine – oder immer noch, das weiß ich nicht so genau. Vielleicht hat sie zwischenzeitlich ernsthaft versucht, eine gute Ehefrau und Mutter zu sein, vielleicht. Vielleicht hat aber auch mein Onkel von Anfang an ihr wahres Wesen erkannt. Er hatte meinen Vater, seinen jüngeren Bruder, eindringlich vor der Heirat gewarnt, und als mein Vater nicht auf ihn hörte, hat mein Onkel kurzerhand den Kontakt zu ihm abgebrochen.«
    »Deshalb hat er Euch und Eure Schwester erst später aus dem Waisenhaus geholt.«
    »Ja. Natürlich haben die Behörden versucht, ihn zu finden. Aber er lebte einige Jahre in Neu-Amsterdam, und in der Zeit haben sie vergeblich nach ihm gesucht. Als er in die Niederlande zurückkehrte, war sein Zorn auf den Bruder verraucht, und er suchte nach ihm. Statt dessen fand er meine Schwester Annetje und mich und zog uns auf wie seine eigenen Kinder.«
    Er dachte an seine Mutter und versuchte, sich an das Schlaflied zu erinnern, das sie ihm und Annetje manchmal gesungen hatte. Es wollte ihm nicht gelingen. Das Lied war aus seiner Erinnerung verschwunden wie die Stimme seiner Mutter und auch ihr Gesicht. Sie hatte sich vollständig aufgelöst wie ein Stück Holz, das sich im Feuer in Rauch verwandelt. Und doch sah er seine Mutter, sehr oft sogar, immer dann, wenn er einer Dirne gegenüberstand.
    Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück, und er sagte: »Es ist spät geworden, Anna. Ich bringe Euch besser heim, sonst sorgt sich Euer Ziehvater noch um Euch. Etwas müßt Ihr mir versprechen: Mischt Euch in Zukunft nicht in meine Ermittlungen ein, und haltet Euch von den ›Verehrern der Tulpe‹ fern!«
    »Da verlangt Ihr Unmögliches von mir.«
    »Ich weiß, Ihr habt Euch selbst ein Versprechen gegeben, aber wartet mit Euren Nachforschungen wenigstens, bis ich den Tulpenmörder überführt habe. Wer weiß, vielleicht komme ich dabei dem Geheimnis der Bluttulpe auf die Spur, und damit wäre auch Euch geholfen.«
    »Ihr werdet mich auch wirklich unterrichten, wenn Ihr etwas Wichtiges herausfindet, Jeremias?«
    »Versprochen, Anna.«
    Sie gingen den Weg zurück,

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