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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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Jeremias?«
    »Vielleicht lügt Blaeu, aber solange man es ihm nicht nachweisen kann, spielt das keine Rolle.«
    Anna legte den Kopf schief und bedachte ihn mit einem prüfenden Blick. »Ihr laßt Euch nicht gern in die Karten schauen, oder?«
    »Lieber bin ich selbst derjenige, der anderen in die Karten schaut.«
    Katoen blickte auf das Tulpenbeet und sah Bienen und Hummeln fleißig von Blüte zu Blüte fliegen. Am Rande des Beetes tummelten sich ein paar Kaninchen zwischen Holunderbüschen. Es war ein so friedliches Bild, daß ihm Annas Bericht über die Tulpe des Bösen fast schon wie eine Verleumdung vorkam.
    »Es tut mir leid«, seufzte er, »aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß eine Tulpe Menschen in den Tod zu treiben vermag. Es ist eine tolle Geschichte, ein schauriges Märchen, aber es ist schlichtweg unglaublich!«
    »So? Dann denkt Euch einmal, wir schrieben nicht das Jahr 1671, sondern 1631, das war die Zeit vor dem großen Tulpenwahn. Hättet Ihr damals geglaubt, daß eine Blume, die Tulpe, Tausende und Abertausende braver Bürger in den Ruin stürzen könnte?«
    »Der Vergleich hinkt. Die Spekulation ging von den Menschen aus, Ihr selbst habt das vorhin festgestellt. Im Gegensatz dazu soll Eure angebliche Tulpe des Bösen in der Lage sein, den Menschen die Sinne zu verwirren, sie in den Selbstmord zu treiben.«
    »Und wenn ich mich nun getäuscht habe? Wenn die Tulpe tatsächlich imstande ist, Menschen zu beeinflussen? Wenn sich deshalb so viele während des Tulpenfiebers verspekuliert haben?«
    Katoen musterte sie eingehend, um herauszufinden, ob sie glaubte, was sie da sagte. Aber ihr Gesichtsausdruck verriet nicht, ob sie einfach ihrer Phantasie freien Lauf ließ oder das Unvorstellbare, das sie andeutete, wirklich für möglich hielt.
    »Jetzt phantasiert Ihr aber, Anna!«
    »Findet Ihr?« Sie hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Mag schon sein, aber bei der Tulpe des Bösen liegen Phantasie und Wahrheit so dicht beieinander, daß eine Grenze kaum zu ziehen ist. Die Zweifel, die ich Euch eben geschildert habe, gehen mir oft durch den Kopf, aber wer weiß schon, was richtig und was falsch ist? Ich habe Euch berichtet, was mein Vater Julien de Montfor mir erzählt hat. Auch er kannte vieles nur aus den Erzählungen anderer. Diese Erzählungen mögen nicht in allen Punkten mit der Wahrheit übereinstimmen, aber gezielt belogen hat er mich ganz sicher nicht. Und ich Euch ebensowenig, falls Ihr Euch das fragt.«
    Katoen brachte die leeren Zinnbecher zurück zu dem Saftverkäufer, der sie mit einem feuchten Lappen auswischte, und dann setzten sie, schweigend zunächst, ihren Spaziergang fort. Seine Gedanken kreisten immerzu um das, was sie ihm erzählt hatte. Die meisten Menschen hätten das alles als Lügengeschichte oder Phantasterei abgetan, aber er hatte schon Dinge erlebt, über die sich dasselbe hätte sagen lassen. Von einer Sekunde zur anderen lachte er auf, so laut, daß ein verliebtes Paar stehenblieb und sich nach ihm umsah.
    »Was erheitert Euch so?« fragte Anna.
    »Die Erkenntnis, daß die meisten Leute mich umstandslos ins Irrenhaus sperren lassen würden, wüßten sie, worüber ich mir Gedanken mache.«
    »Und worüber macht Ihr Euch Gedanken?«
    »Über Eure tödliche Tulpe.«
    »Und?«
    »Ich habe beschlossen, Eure Geschichte zu glauben.«
    »Ach, auf einmal? Warum das?«
    »Andernfalls hätte ich gar nichts in der Hand. Was Ihr mir über die Tulpe des Bösen erzählt habt, mag höchst unwahrscheinlich klingen, aber etwas Plausibleres habe ich auch nicht anzubieten. Außerdem hatte ich es schon einmal mit einer unheilvollen Macht zu tun, an deren Existenz ich zuvor nicht geglaubt hätte.«
    Anna sah ihn überrascht an. »Eine unheilvolle Macht? Wovon sprecht Ihr?«
    Katoen dachte an die blauen Bilder Rembrandts, wischte die Erinnerung aber sogleich beiseite. »Lassen wir das, es gehört nicht hierher. Kommen wir lieber zu Euch zurück. Nach allem, was Ihr mir erzählt habt, stellt sich mir die Frage, ob ich Euch festnehmen soll, Anna.«
    »Mich? Wieso?«
    »Ihr selbst sagt, daß Ihr die ›Verehrer der Tulpe‹ oder doch einige von ihnen für die Hintermänner des Mordes an Euren Eltern haltet, für die Personen, die damals den Überfall auf die Tulpenküste veranlaßt haben – oder doch zumindest für deren Erben. Die Toten sind mit dem bewußten Blütenblatt in der Hand gefunden worden, und wir haben einen Zeugen, der den Bankier de Koning kurz vor seinem Tod

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