Die Tulpe des Bösen
daran keinen Gedanken. Jetzt galt es, den Tulpenmörder zu fassen oder zumindest dafür Sorge zu tragen, daß van der Zyl und seine Tulpenbrüder diesen Abend überlebten.
Sämtliche Inspektoren und ihre Büttel waren im Einsatz, unterstützt von der Nachtwache. Die langgezogene Jodenbreestraat und alle von ihr abzweigenden Straßen und Gassen wurden überwacht. Katoens Männer warteten im Norden auf den von Menschenhand aufgeschütteten Inseln Uilenburg und Marken, auf denen man Werften, Werkstätten, Lagerhäuser und einige Handelsgebäude der Ostindischen Kompanie errichtet hatte, und bewachten im Süden die Brücken hinüber zur Insel Vlooienburg mit ihren vielen jüdischen Geschäften, in denen Bücher, Gemälde, Geschirr, Vasen, Kerzenständer und dergleichen angeboten wurden. Sie patrouillierten im östlichen Randbezirk der Plantage ebenso wie im Gebiet rund um die Zuiderkerk. Selbst in den Grachten hockten ein paar Wachen in Ruderbooten, um jederzeit auf dem Wasser oder vom Wasser her einzugreifen.
Katoen hatte alles menschenmögliche getan, um einen weiteren Tulpenmord zu verhindern, und doch fühlte er sich unwohl. Mit dem Nebel kam die Kälte und kroch in seine Glieder, obwohl er einen wollenen Umhang übergeworfen hatte. Sowenig er das Wetter beeinflussen konnte, so wenig konnte er auch auf den Mörder einwirken, solange er nichts von ihm wußte. Der Nebel und der Mörder, beide erschienen diffus und unangreifbar.
Endlich öffnete sich die Wirtshaustür, und die ersten Tulpenfreunde traten den Heimweg an. In kleinen Gruppen, die sich aber nach und nach auflösen würden, wenn jeder seinem eigenen Haus, seinem weichen Bett und seinem warmen Weib zustrebte. Die Männer wirkten fröhlich und scherzten, als seien sie sich keiner Gefahr bewußt. Katoen aber erschienen sie ein wenig zu laut, ganz so, als machten sie sich selbst Mut.
Er sah drei Männern nach, die zusammen ostwärts gingen, und dachte, daß einer von ihnen ihm bekannt vorkam. Ganz kurz nur hatte er eben das Gesicht mit dem sauber gestutzten Bart gesehen, ein junges Gesicht, doch er erinnerte sich an das Zusammentreffen mit dem Mann am vergangenen Dienstag. Offenbar hatte Paulus van Rosven nach dem Tod seines Vaters dessen Platz in der Runde der ›Verehrer der Tulpe‹ eingenommen.
Um ihn brauchte Katoen sich wohl keine Sorgen zu machen. Die Wahrscheinlichkeit, daß es nach dem Vater auch den Sohn erwischte, erschien ihm doch sehr gering. Andererseits hatte diese Nacht etwas Unberechenbares, das spürte er, und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen konnte er jetzt nichts anderes mehr tun als hoffen, daß es nicht die Nacht des Mörders wurde.
Joris Kampen saß auf einer von mehreren alten Holzkisten, die neben einem Lagerhaus auf der Insel Marken standen, und zählte seine Finger. Er wußte zwar, daß er im Besitz aller zehn Finger war, aber irgend etwas mußte er tun, um gegen die Langeweile anzukämpfen – und gegen die Müdigkeit, die ihn zu übermannen drohte. Er gähnte herzhaft und wünschte sich nichts sehnlicher, als in seinem Bett zu liegen, bei seiner drallen, warmen Noortje, die ihm am Abend zuvor erst gesagt hatte, daß sie ein Kind erwartete. Ihr drittes. Eigentlich schon das vierte, aber ein Mädchen war kurz nach der Geburt am Fieber gestorben. Dafür machten Frans und Elka sich ganz prächtig.
Eine Weile überlegte er, wie sie das Kind, das in Noortjes Leib heranwuchs, nennen sollten. Aber solange sie nicht wußten, ob es ein Junge oder ein Mädchen wurde, war das eine unlösbare und damit viel zu anstrengende Aufgabe. Und er haßte Anstrengungen, jedenfalls dann, wenn sie zu nichts führten. So wie dieses stundenlange Warten auf einen Mörder, der wohl nicht kommen würde. Und sollte er doch kommen, würde er sich kaum diese abends verlassene Gegend am Hafen aussuchen, sondern sich da auf die Lauer legen, wo die prächtigen Häuser der angesehenen Bürger standen.
In Zukunft allerdings würde Kampen sich ein bißchen mehr anstrengen müssen, wenn es galt, ein weiteres hungriges Maul zu stopfen.
Was er als Büttel der Stadt Amsterdam verdiente, würde dazu kaum reichen. Aber er war ganz zuversichtlich, etwas Passendes zu finden. Möglich, daß ein paar der reichen Pfeffersäcke sich erkenntlich zeigten, wenn er ihnen versprach, auf die Sicherheit ihrer Häuser besonders zu achten.
Kampen wußte, daß viele seiner Kollegen ähnliche Geschäfte tätigten, um ihren schmalen Lohn aufzubessern. Sogar sein Baas, der offenbar gut
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