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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Ein Schlag mit dem Hammer würde die Büste in zwei Hälften zerbersten lassen. Aber wie kann man etwas töten, das schon tot ist?
    Die Statue vor ihm bebte, ihre grob herausgemeißelten Glieder vibrierten. Vom Unterarm splitterten Holzfasern ab, der klobige Kopf neigte sich, an der Stelle, wo einmal der Mund sein sollte, löste sich ein kleines Astloch.
    »Vollende mich«, stöhnte die Büste.
    Mason ließ seinen Hammer fallen und wich zurück, seine Augen brannten vom vielen Schweiß, von den Sägespänen und von der Angst, die sich in ihm ausbreitete. Die Holzarme streckten sich nach ihm aus, von den ungehobelten Händen fiel gekräuseltes Eichenholz herab. Mason prallte gegen den Tisch, die Büste stürzte um. Er schaute nach unten und sah die Augen, die ihn anstarrten. Es war der gleiche Blick wie auf dem Porträt von Korban. Genauso kalt.
    »Was ist mit Anna?« fragte Mason.
    »Ich verspreche, ihr zwei werdet zusammen sein. Wir alle werden eine große glückliche Familie sein.«
    Das machte Sinn. Schließlich war es auch möglich, dass seine Mutter ihn aus dem tiefen, dunklen Tunnel heraus beobachtete. Wahrscheinlich zusammen mit seinem stockbesoffenen Vater mit den bösen, finsteren Augen. Genau wie in alten Zeiten. Ratten, die aus ihren Löchern in den Wänden hervorkrochen. Um ihn herum nur Finsternis. Und Vater, der ohnmächtig auf den Boden knallte. Wenn er Anna mit in den Tunnel ziehen konnte, würde die Dunkelheit vielleicht ein bisschen erträglicher sein. Korban hielt immer sein Wort. Wieso sollte man diesen weisen und wunderbaren Augen nicht vertrauen?
    Mason nahm die kleine Axt. Die Kritiker hatten gesprochen. Mehr von der linken Seite. Vollende es. Lass es perfekt werden. Ein Traumbild, das zum Leben erweckt wird. Schaffe. Schöpfe.
    Holz.
    Fleisch.
    Herz.
    Traum.

58. KAPITEL
    A nna hatte das Gefühl, wieder in einem dieser Träume zu sein, die ihre Nächte im vergangenen Jahr ausgefüllt hatten. Wie so viele Male zuvor in diesem verlorenen Reich des Schlafes ging sie vom Wald aus auf das Anwesen zu. Die bedrückende Silhouette des Hauses entschleierte sich zwischen den Bäumen, die das Gelände wie Wachhunde umzingelten. Die Fenster wirkten wie Augen, die trotz der vielen Feuer im Inneren des Gebäudes kalt und starr blickten. Die Schornsteine atmeten den Rauch der Vergänglichkeit, ragten in den Himmel empor als Sinnbild für die Umwandlung von Materie in Energie, verkörperten den Übergang des Essenziellen in Wärme. Aus dem Vordereingang drang ein Flüstern, das wie ein sanfter Willkommensgruß klang. Die dahinter wartende Dunkelheit versprach Ruhe und Frieden.
    Doch dieser Wachtraum hatte Züge an sich, die neu waren, die bei all den anderen zuvor nicht aufgetaucht waren. Fast so, als ob sie nicht mehr nur sechs Sinne hätte, sondern auch noch einen siebten. Das Gras unter ihren Schuhen wuchs dicht, der Boden war mit glitzerndem Frost überzogen. Der Himmel war glasklar so weit das Auge reichte, wirkte in seinen fliederfarbenen und bordeauxroten Schattierungen wie mit einem großen, struppigen Pinsel gezeichnet. Der Wind hatte sich mit einem Seufzen gelegt, die kühle Luft hatte sich als unmissverständliches Zeichen für die Kapitulation des Herbstes manifestiert. Das Anwesen wartete auf sie. Ephram Korban wartete auf sie.
    Ist dies der Ort, wo ich hingehöre? Komme ich wirklich nach Hause?
    Sylva meinte, dass Anna wie Brennstoff wäre. Dass Korban sie brauchte, sie benutzen und ihre Seele aufzehren würde, sodass nichts weiter übrig bliebe als ein Haufen Asche.
    Aber was machte das schon? Sollten doch ihre Liebe, ihr Hass, ihre Wut und ihr Stolz aus ihr in das Haus entweichen. Sollten ihre Gefühle doch Ephram Korban gehören. Niemand anderes scherte sich schließlich darum.
    Sie musste lachen, taumelte, als sie über die Veranda schritt, wurde von der schieren Energie des Hauses übermannt, ließ sich von der Wärme einlullen. Nach Hause kommen. Zuhause ist dort, wo das Herz wohnt.
    Miss Mamie wartete schon. Sie öffnete die Tür, trat zur Seite und winkte sie herein. »Ephram erwartet Sie bereits.«
    Anna fühlte sich betrunken. Selbst die gewohnten Schmerzen verebbten, das Feuer, das der Krebs in ihr entfacht hatte, erlosch. Sie würde alles von sich opfern. Korban könnte ihre Schmerzen haben, ihre Einsamkeit, ihr Gefühl, niemals irgendwohin gehört zu haben.
Guten Appetit
.
    Ja, sie war nach Hause gekommen. Dieser Ort hatte ihre Seele geöffnet, hatte es ihr ermöglicht, Geister zu

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