Die Tunnel der Seele
alle hier auf Korban Manor willkommen heißen«, begann Miss Mamie. »Wie die meisten von Ihnen ja bereits wissen, wurde dieses Haus 1902 von meinem Großvater Ephram Korban erbaut. Nach seinem Ableben – Gott möge seiner Seele gnädig sein – gelangte es in die Hände meines Vaters. Gemeinsam haben wir es in ein Künstlerrefugium verwandelt, um Ephrams letzten Wunsch zu erfüllen. Jetzt liegt es an mir, die Tradition fortzuführen. Und dies tue ich mit großem Stolz und viel Freude.«
»Und einem hübschen Gewinn«, fiel eine Stimme mit britischem Akzent ein, woraufhin verlegenes Gelächter durch den Raum plätscherte.
Miss Mamie lächelte. »Das auch, Mr. Roth. Doch es geht um mehr als den Erhalt des Anwesens zu finanzieren. Es ist eine Arbeit, die von Liebe geprägt ist, eine Fortführung von Ephrams Vision. Er war ein großer Verehrer der Künste. Und ich hoffe, dass jeder von Ihnen während seines Aufenthalts hier Erfüllung findet und somit auf ganz eigene Weise dazu beiträgt, Ephrams Traum am Leben zu erhalten.«
Verstohlen schaute Anna hinüber zu Mason. Der starrte Miss Mamie mit unverhohlener Neugier an.
Hmmm. Vielleicht ist er gar nicht so gut aussehend, wie ich zuerst dachte. Seine Nase ist im Profil ein wenig lang. Und seine Finger sind zu dick. Ich wette, er stellt sich bei Frauen eher unbeholfen an.
Zufrieden mit sich, weil sie genug Fehler an ihm entdeckt hatte, nippte sie an ihrem Wein. Miss Mamie war gerade dabei, das allgemeine künstlerische Feuer zu schüren.
»—darum möchte ich einen Toast ausbringen, meine Freunde”, sagte die Gastgeberin, während sie an ihrer Perlenkette herumspielte. Sie hob ihr Weinglas zur Gewölbedecke, drehte sich dann herum und prostete dem Porträt von Korban zu. Die meisten Leute im Raum taten es ihr gleich. Anna griff erneut nach ihrem Glas, überlegte es sich dann aber doch anders. Mason sah es und grinste.
Arschloch. Wahrscheinlich ist er einer dieser selbstgefälligen Typen. Ein Künstler mit Überlegenheitskomplex. Na, DAS ist doch mal eine Seltenheit.
Sie ergriff ihr Glas und nahm einen großen Schluck. Es war ein Muskatwein aus eigenem Anbau, ein bisschen zu lieblich, um ihn einfach hinunterspülen zu können. Trotzdem nahm sie noch einen Schluck. Wenn schon, denn schon.
»Ich würde mich freuen, wenn Sie mich nach dem Abendessen auf einen Drink und eine gute Unterhaltung ins Studierzimmer begleiten«, endete Miss Mamie. »Von dort aus gelangen Sie auch auf eine Veranda, auf der geraucht werden darf. Ich danke Ihnen noch einmal, dass Sie uns die Ehre Ihres Besuchs erweisen. Auf einen angenehmen Abend!«
Im Raum machten sich Geschnatter und das Klappern von Essbesteck breit. Beim Aufstehen schwankte Cris leicht. Sie legte eine Hand auf Masons Schulter, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden, und lehnte sich gegen ihn.
Anna tat so, als ob sie es nicht bemerkte. Sie wollte Geistern begegnen, verdammt noch mal. Geister hielten einen nicht zum Narren, so wie Männer es immer taten.
Sie stahl sich über die Treppe davon. Die Lampen entlang des Flures tauchten das Gebälk in ein warmes Licht. Sie trat in das dunkle Schlafzimmer, stellte sich ans Fenster und ließ ihren Blick über das unbeleuchtete Anwesen schweifen. Der Himmel färbte sich langsam tiefblau, bald würde die Schwärze aus dem Osten hervorkriechen, der Mond blass und blau im Osten aufgehen.
Sie nahm ihre Taschenlampe vom Nachttisch. Zumindest eine moderne Annehmlichkeit war erlaubt, wahrscheinlich aus versicherungsrechtlichen Gründen. Sie schaltete die Lampe an und fuhr mit dem Lichtkegel über die Wände, halb in der Hoffnung, einen ruhelosen Geist zu sehen. Doch sie entdeckte lediglich einen Riss, der sich wie ein Spinnennetz über den Gipskarton zog.
Sie seufzte. Auf der Suche nach dem Grauen. So hatte Stephen es genannt.
»Überlass die ernsthafte Investigation mir«, hatte er immer gesagt. »Tob du dich bei der Suche nach dem Grauen aus.«
In diesem Haus lebte ein Geist. Das wusste sie so sicher, wie die Tatsache, dass sie sterben würde. Und wenn es notwendig war, würde sie ihm bis in die Hölle folgen, denn nur ein einziges Mal in ihrem Leben wollte sie recht behalten. Zumindest sollte Stephen wissen, dass sie recht hatte. Selbst wenn es nur ihr eigener Geist war, den sie finden würde.
Sie schnappte sich einen Pullover und steckte die Taschenlampe in ihre Hosentasche. Ein langer, einsamer Nachtspaziergang würde ihr gut tun.
11. KAPITEL
M üll.
Müll und
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