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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Offenbarung gewartet, in dem sie Spence ihr GESCHENK anvertrauen würde.
    Ein weiteres Meisterwerk war den Mauern dieses Hauses entsprungen.
    Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und lachte. Das Echo seiner Stimme schallte ihm entgegen, rasselte am Spiegel des Frisiertisches entlang, prallte an der Vertäfelung ab, schwirrte um den Kaminsims herum, fegte über die kalte Feuerstelle hinweg, um dann wie aufgewirbelter Staub durch die Luft zu kreisen. Wie ein Verbündeter grinste Korban in stillem Einvernehmen von seinem Porträt herab.
    Jetzt, wo das Zimmer leer war, fand Spence es viel gemütlicher. Es gab nur ihn und die Schreibmaschine. Ihn und die Worte. Und die Welt jenseits der Worte?
    Die Welt an sich spielte keine Rolle, existierte nicht. Was zählte, war die Interpretation, die menschliche Reflektion, die Ausgestaltung der Illusion. Die Kunst. Der Symbolismus.
    Die Worte.
    Die Worte von Spence.
    Es war egal, dass seine jüngsten Werke zu ausschweifend waren und keinen roten Faden erkennen ließen! Was machte es schon, dass sie ohne jede Handlung und voller ungelöster Konflikte in der Versenkung verschwinden würden? Wichtig war nur, dass Spence mit Lob überschüttet wurde. Die Kritiker liebten ihn. Er schmückte den Titel des
New York Times Book Review,
und zwar nicht nur einmal, sondern zweimal. Und die kleinen Leute, die aufstrebenden Schriftsteller, die Menschenmenge aus dem Coffee Shop, die armseligen Magister der Englischen Literatur, sie alle verschlangen seine Werke wie Haie ihre Beute. Unbeeinflusst von irgendwelchen Fernseh-Talkshows, in denen der eintönige, fade Geschmack der breiten Masse dadurch geprägt wurde, dass man gewissen Möchtegernvorbildern nacheiferte, die scheinbar die Trends von morgen kannten.
    Es war ja nicht so, dass die kleinen Leute nicht zählten, schließlich bestimmten sie, was angesagt war und was nicht. Aber Spence schrieb nicht für die breite Masse. Er schrieb auch nicht für die Kritiker, denn die waren genauso blind wie einst Homer. Bliesen sich auf, als ob sie beim kreativen Entstehungsprozess der rezensierten Werke dabei gewesen wären. Erkannten nicht, dass sie sich wie Schweine verhielten, die aus demselben Trog fraßen, in den sie auch voller Verachtung hineinrotzten. Auch Redakteure waren nichts weiter als Eindringlinge, die sich weniger um den Akt der Schöpfung kümmerten, sondern ihre Wertschätzung vielmehr dem Produkt zuteil werden ließen.
    Sein gesamtes Leben, seine gesamte Laufbahn drehte sich um die Suche an sich. Es musste einen Weg geben, wie man sich von den Zwängen des Symbolismus befreien und dem eigentlichen Sinn direkt auf den Grund gehen konnte. Wie man zur ultimativen Wahrheit gelangte ohne das störende Klappern der Schreibmaschine und ohne die unbeholfenen Finger, die als Sprachrohr des Gehirns fungierten. Mit Sicherheit existierte eine viel einfachere Klarheit als das schwarz-weiße Gemisch aus Tinte und Papier.
    Schon bald würde er ihn erreichen. Den spirituellen Gipfel, den Moment, in dem die gesamte Geschichte der Menschheit, alle allgemeingültigen Gesetze, alle Theologien, jedes einzelne Staubkorn, jede kleinste Materie und jeder Gedankengang auf ihre reinste Form verdichtet werden können. Wenn alles zu dem Einen verschmilzt.
    Dem einen wahren WORT.
    Spence seufzte. Bis er an diesem Punkt der Gottseligkeit angekommen war, bis er das Wesentliche beherrschte, musste er sich mit diesen idiotischen sprachlichen Ausdrucksmitteln herumquälen. Poe sinnierte stets über die »Einheitlichkeit der Wirkung«, darüber, wie jedes Wort zum großen Ganzen beitragen müsse. Dieser paranoide, Absinth saufende Verrückte hatte schon den richtigen Weg eingeschlagen, aber wäre es nicht viel besser, wenn man dieses eine Wort finden würde, das die Wirkung selbst
verkörperte
?
    Immerhin konnte er sein Geschriebenes lieben, trotz aller sterblichen Unzulänglichkeiten. Er las den letzten vollendeten Abschnitt.
    Und er, der zur Nacht wurde, fand seine Gliedmaßen, sein Blut und seine Freude vor sich ausgebreitet. Sein Ich sickerte aus dem kalten, dunklen Stein heraus, der sein Gefängnis war, entwich dem Berg, der sein Grab war, quoll aus dem Haus, das sein Herz war. Seine Finger waren jetzt weit mehr als einfach nur Äste, seine Augen mehr als Spiegel seiner Seele, seine Zähne mehr als zerbrochenes Holz. Er, der zur Nacht wurde, könnte mit seinen tiefschwarzen Gewässern alles überschwemmen, könnte seine Wellen gegen weit entfernte Ufer peitschen

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