Die Tunnel der Seele
Korban hielt die Tür weit geöffnet, einen Arm zur Begrüßung ausgestreckt. Die Geister schwebten in den dunklen Raum und rissen Adam, der zunächst zögerte, sich dann aber machtlos seinem Schicksal ergab, mit in die Finsternis. Aber es war nicht das Herrenhaus, das ihn verschlang.
Es war ein endloser Tunnel, eine Röhre aus eiskalten, gläsernen Mauern, ein weit aufgerissener, düsterer Schlund, der von der Dunkelheit beherrscht wurde, in den kein Lichtstrahl jemals eindringen würde. Kälter als ein Geist, zitterte Adam am ganzen Leib. Er war nicht mehr bereit, sich diesem trügerischen Spiel hinzugeben.
Zeit aufzuwachen …
Korbans Gestalt verwandelte sich, seine leeren, finsteren Augen leuchteten plötzlich hasserfüllt auf, glühten wie flammend rote Feuerbälle. Und dieser verabscheuenswert lodernde Korban streckte jetzt seine Hand nach Adam aus, griff in ihn
hinein,
in seine Brust, in sein Herz—
BITTE BITTE BITTE WACH ENDLICH AUF!
Als Korban seine Finger zusammenpresste, wurde Adams Körper von neuen, bisher unbekannten Schmerzen übermannt. Schmerzen, die jenseits der menschlichen Vorstellungskraft lagen. Die so heftig waren, dass sie selbst einen träumenden Toten aufschreien ließen. Korban zog ihn immer weiter in den Tunnel hinein und Adam wusste, dass das, was ihn am Ende des Tunnels erwartete, das Schlimmste sein würde, was seine Gedanken jemals ausbrüten konnten.
Er schrie noch einmal, schrie und schrie und schrie, schloss die Augen in Panik vor dem, was ihm dort drinnen auflauerte—
Obwohl er es nicht sehen konnte, so
wusste
er doch, was auf ihn wartete. Die Sache nämlich, die so tief in seinen Gedanken vergraben lag, dass er sie schon vergessen hatte. Und wie alles, was man versuchte zu vergessen, war diese Sache nun mächtiger als jemals zuvor, hatte in den langen Jahren der Verleugnung nur an Kraft und Stärke gewonnen. Und wenn diese verborgen geglaubte Erinnerung dann schließlich mit ihrer ganzen Wucht an die Oberfläche drängte, sich ihren Weg zurück ins Bewusstsein erkämpfte, sah es für den, der diese Erinnerung begraben wollte, nicht gut aus.
Seine Erinnerung hatte Zähne.
Wieder schrie er, und die Hand in seiner Brust rüttelte an ihm, schüttelte ihn—
»Wach auf, Adam.«
Er schlug die Augen auf, aber noch immer sah er seine begrabene Erinnerung aufflammen, eine Vision, die ihn unbändig um sich schlagen ließ. Seine Hand traf Pauls Schulter.
»Hey!«
Paul stand in Unterwäsche neben Adams Bett. Adam starrte ihn lethargisch an. Der Mond schien schwach durchs Fenster und die Wand wurde vom Feuer in ein rotes Licht getaucht.
»Du musst ja einen höllischen Traum gehabt haben«, sagte Paul.
Ganz still lag Adam da, rollte mit den Augen, spürte seine Augenhöhlen. Seine Brust brannte von den Schmerzen der Erinnerung. Die Bettdecken waren um ihn herum verknotet. Er blickte in die Zimmerecken und zur Tür des Wandschranks, darauf gefasst, dass sich ihm seine frisch ausgegrabene Erinnerung im kleinsten Schatten erneut offenbaren würde. Er betrachtete das Porträt über dem Kamin, wartete förmlich darauf, dass Korban ihn mit weit aufgerissenem Mund im Tunnel begrüßen würde.
»Ich meine, du hast sogar
mich
mit deinem wilden Gezappel aufgeweckt«, fügte Paul mit einem leisen Anflug von Hohn in seiner Stimme hinzu. »Und ich war am anderen Ende des Zimmers.«
Adam griff sich ins Gesicht, wischte sich den Schweiß von Stirn und Oberlippe.
Er atmete tief ein, labte sich an der genüsslichen, erfrischenden Lebendigkeit seines Atems. Nichts hatte ihm jemals so vorzüglich geschmeckt, weder die Schokoladen-Kirsch-Sauce auf seinem Lieblingseis noch der beste Chardonnay. Selbst der Kuss einer neuen Liebe fühlte sich nicht so erquickend an.
Paul stemmte die Hände in die Hüften, nun schon etwas ungeduldiger. »Hast du von meiner Frau in Weiß geträumt oder redest du immer noch nicht mit mir?«
Adam öffnete den Mund, kostete mit jeder Faser seines Körpers das Gleiten seiner Zungenspitze über seine Zähne aus.
»Mit einer Sache hattest du recht«, flüsterte er mit trockener Kehle. »Es war ein höllischer Traum.«
35. KAPITEL
W underschön.
Spence hielt die Seite hoch, sodass die Worte vom Mondlicht erhellt wurden, das sanft durchs Fenster schien.
Die Segnung der Muse, die verheißungsvolle Inspiration, die glorreiche Schöpfung. Sie hatte sich für diesen Augenblick aufgespart. All die Jahre hatte die Vision im Verborgenen geruht, hatte auf diesen Moment der
Weitere Kostenlose Bücher