Die Tunnel der Seele
Sie reden von Ihrer Mutter«, sagte Roth. »Diese alten Damen können ziemlich herrisch sein.«
»Meine Mutter war eine Heilige. Die Person, auf die ich angespielt habe, ist schon lange tot. Aber tief in mir trage ich die Hoffnung, dass sich Gott meiner erbarmt und wir uns im Jenseits wiedersehen.«
Roth grinste. »Genau. Wozu sonst sollte es einen Himmel geben, wenn man dort nicht einmal seine Feinde zur Schnecke machen kann.«
Spence nahm einen großen Schluck Scotch. »Sie langweilen mich, Mr. Roth. Und ich hasse Langeweile.«
»Also gut, hören Sie zu. Ich habe da eine Idee—«
»Lassen Sie mich raten. Sie haben ein Buch, das ich für Sie schreiben soll und wir teilen uns dann die Kohle, nachdem ich die ganze Arbeit gemacht habe.«
»Nicht ganz so armselig. Ich dachte an einen Bildband über Korban. Ich mache die Fotos und wühle ein bisschen in der Vergangenheit. Sie müssen einfach nur Ihren Namen für das Cover herhalten und einige Seiten als Vorwort schreiben.«
»Mein Name ist nur noch Schall und Rauch.«
»Dieses Projekt wird ein Knüller. Irgendein exzentrischer Typ erschafft sich irgendwo auf dem Lande sein eigenes Imperium, stirbt dann unter mysteriösen Umständen. Wir könnten sogar die Geisterschiene fahren. Ich habe keine Skrupel, die Bilder dahingehend zu manipulieren, dass sie gespenstig und mystisch wirken, ein bisschen Elfenstaub über sie zu streuen.«
»Wo wir gerade von zarten Elfen sprechen …«, meinte Spence und deutete mit seinem Blick auf den jungen Mann, der mit seiner Videokamera in der Hand in Richtung Wald lief.
»Sein Freund hat ihn in diesem Aufzug allein gehen lassen? Scheint 'ne ziemlich eifersüchtige Klette zu sein.« Roth sah sich hin und wieder zu Experimenten gezwungen, wenn sich die Vöglein rar machten. Männer waren nach seinem Geschmack zu kantig, hatten aber etwas Bedrohliches an sich, das keine Frau der Welt auch nur im Entferntesten ausstrahlte. Aber wenn Spence in dieser Hinsicht so prüde war, hielt er sich besser zurück. Er verbiss sich jeglichen Kommentar.
»Ephram Korban hätte eine derartige moralische Schwäche als Verderb jeglicher Sittsamkeit und Tugend verachtet«, meinte Spence.
»Sie reden, als ob Sie ihn kennen würden.«
»Nein, das nicht. Aber ich verstehe ihn. Ich fühle ihn. Dieses Haus gehörte ihm nicht nur, es hat ihn besessen.«
»Aha, Sie glauben also diesen Geisterquatsch.«
»Ich habe den Geist schon am eigenen Leib gespürt.«
Roth fragte sich, wie viele Gläser Scotch er wohl zum Frühstück getrunken hatte. »Dann ist dieses Buch doch genau das Richtige für Sie. Wir können es auch als eine Art Hommage herausbringen, wenn Sie möchten.«
Spence stützte sich gequält hoch. »Lieber schreibe ich einen kitschigen Thriller, mit Vampiren, einem Papst auf dem Mond und einem Regierungskomplott. Und einer unerfüllten Liebe. Wenn das Buch spannend sein soll, braucht man eine unerfüllte Liebe.«
»Denken Sie darüber nach!«
»Sie entschuldigen mich? Ich muss arbeiten. Wirklich arbeiten!« Spence nahm sein leeres Glas und schlurfte in Richtung Studierzimmer, zweifelsohne um sich ein weiteres Schlückchen zu gönnen.
Roth blieb im Schatten der Veranda allein zurück. Vor seinem geistigen Auge erschien ihm Spence, wie er tot in der Badewanne lag. Sein fetter, weißer Bauch füllte eine ganze Doppelseite in einem Boulevardblatt aus. Moby Dick ist nicht mehr dick im Geschäft. Dieses Bild würde mehr als tausend Worte sagen. Und mehr als tausend Dollar wert sein.
Wie konnte man nur dieses strapazierte Herz zum Stillstand bringen? Eine Dreiecksbeziehung mit Bridget und Lilith? Oder sollte man Paul und Adam auf ihn ansetzen? So wie er über Schwule wetterte, hatte er diesbezüglich doch mit Sicherheit selbst ein paar Leichen im Keller.
Roth lächelte. Es gäbe da eine viel einfachere Möglichkeit, bei der man keine Komplizen bräuchte.
Wenn Spence so verliebt in seine eigene Arbeit war, was würde passieren, wenn sein Schaffenswerk plötzlich im Kamin landete? Wie von Geisterhand? Niemand könnte jemals den wirklichen Schuldigen finden!
41. KAPITEL
D er Wind raschelte in den Bäumen, die den Friedhof säumten, und spielte eine einsame Melodie für die Toten, die hier hoch oben am Rande der Welt ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Auf ihren Stock gestützt stand Sylva an einem Zaun, der so morsch war, dass es kaum jemand wagen würde, darüber zu klettern. Nur wenige Augenblicke zuvor hatte die alte Frau das Gras auf ihren
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