Die Tunnel der Seele
einem lauten Klackern rollte die Puppe über den Boden, der schrumpelige Kopf kullerte davon. »Oh, mein Gott, was für ein großartiger Fall«, sagte sie so leise, dass Adam sie kaum hören konnte.
»Ich möchte auch mein Geld nicht wieder zurück. Mein Mitbewohner Paul bleibt noch.«
Miss Mamie schaute aus dem Fenster. Über die Sonne hatte sich eine Wolke geschoben, im Zimmer wurde es dunkler. Die Melodie der Abramovs wechselte in Moll und wand sich dann ins Agitato.
»Niemand kann diesen Ort hier verlassen«, erwiderte sie.
»Ich weiß, dass der Transporter in den nächsten Wochen nicht hier hoch kommt. Aber vielleicht könnten Sie ein anderes Transportmittel organisieren.«
»Sie verstehen nicht. Niemand kann hier weg. Besonders Sie nicht.«
Miss Abramovs Gesicht verkrampfte sich, als sie das Tempo ihrer chaotischen Tonfolge anzog. Der harmonische Klang, der noch vor wenigen Minuten den Instrumenten entwichen war, hatte sich aus heiterem Himmel in Schall und Rauch aufgelöst. Die Melodie, die jetzt den Raum erfüllte, erinnerte mehr an leidvolles Jammern als an Musik.
Adam blickte aus dem Fenster. »Kann mich nicht einer der Handwerker auf dem Pferd mitnehmen? Ich habe neulich zwei der Gäste ausreiten sehen.«
»Es ist noch nicht an der Zeit«, sagte Miss Mamie und wandte sich vom Fenster ab, in ihren Augen ein Funkeln, das Adam als Zorn deutete. »Heute Abend steigt doch die Party. Eine illustre Angelegenheit, die Sie nicht verpassen dürfen. Oben auf dem Witwensteg bei Vollmond. Das ist so etwas wie eine heilige Tradition auf Korban Manor.«
»Ich kann für die Unannehmlichkeiten aufkommen. Ich weiß, was für Umstände das Ihnen bereitet.«
Miss Mamie blickte ihn finster an und berührte das Medaillon, das antiquiert von ihrem Kropfband hing. »Er—er will Sie nicht gehen lassen.«
»Paul?«
Miss Mamie schien sich ein bisschen gefangen zu haben. »Black Rock ist einen halben Tagesritt entfernt. Und Sie gehören hierher.«
Der Klang der Saiten wurde intensiver, zerbrach in ein chromatisches Wirrwarr.
»Dann laufe ich eben zu Fuß.«
Abrupt hielt die Musik an, die Klänge verharrten starr in der Luft.
»Niemand verlässt diesen Ort«, sagte sie.
Adam folgte ihrem Blick zum Porträt von Korban über dem Kamin. Darauf abgebildet war dasselbe Gesicht, welches Adam im Traum erschienen war und ihm Weisheiten über die Tunnel der Seele zugeflüstert hatte. Adam schauderte. Das Haus brodelte vor Aufregung, als ob die Wände der Finsternis überdrüssig waren. Die Luft war stickig und selbst das leuchtende Feuer konnte dem Raum keinen Glanz verleihen. Adam ging zur Feuerstelle, rieb seine fröstelnden Hände und versuchte, die Erinnerungen seines Albtraums aus seinen Gedanken zu verbannen.
Er schaute hinab auf die kaputte Puppe. In einem Schlitz im Rumpf steckte ein Stofffetzen. Graue Baumwolle, wie sein Pyjama.
»Spielen Sie weiter«, forderte Miss Mamie die Abramovs auf.
40. KAPITEL
R oth fand Spence auf der Raucherveranda, in einem handgeschnitzten Schaukelstuhl sitzend, dessen Beine sich unter der Last nach außen zu biegen schienen.
»Na, Shakespeare, wie läuft’s?« fragte Roth.
Seinem glasigen Blick nach zu urteilen hatte Spence sich bereits den einen oder anderen Scotch genehmigt, obwohl es noch nicht einmal zehn Uhr vormittags war. In dieser Hinsicht schien er seinem Ruf also tatsächlich alle Ehre zu machen, auch wenn Roth ursprünglich davon ausgegangen war, dass er seinen Alkoholgenuss genauso affektiert vorgaukelte wie seinen legendären Schlag bei Frauen oder wie Roth seinen eigenen Akzent.
»Bestens, wie immer«, antwortete Spence mit kreidebleichem Gesicht und geröteten Augen, die darauf hindeuteten, dass er zu wenig geschlafen hatte.
»Das wird gutes Futter für die Kritiker sein, oder? Ich meine, in den letzten Jahren hat man ja nicht ein gutes Haar an Ihnen gelassen.«
Spence gab ein müdes Seufzen von sich. »Es gibt nur eine Person, der ich irgendetwas beweisen muss.«
Roth hatte in einem Schaukelstuhl Platz genommen, der aus dünnen Schilfrohren geflochten war. Er stellte seine Kameratasche auf den Boden. Wenn er es geschickt anstellte, könnte ihm eine perfekte Aufnahme von Spence in seiner ganzen Zerstreutheit gelingen. Ein solches Foto würde sich in seiner Galerie verstorbener Berühmtheiten wirklich gut machen. Schließlich konnte man es nicht verleugnen, dass Spence sich sein eigenes Grab schaufelte und geradewegs auf den Abgrund zusteuerte.
»Ich nehme an,
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