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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Hand hat, mich kontrollieren kann.«
    »Ephram Korban. Was kümmert mich dieser Typ?« Über Annas Wangen rannen dicke Tränen. Rachel, deren Antlitz im Licht der aufgehenden Sonne schimmerte, öffnete ihren Mund, spreizte ihre Lippen. »Es war verdammt hart für mich, dich zu verlieren. Das war noch schlimmer als Sterben. Noch schlimmer als tot zu sein. Denn tot zu sein ist das Gleiche wie zu leben, nur noch schlimmer.«
    »Hart für
dich
«, erwiderte Anna sarkastisch. »Jede Nacht, in jeder neuen Pflegefamilie, jedes Mal, wenn mich ein Fremder abends zudeckte, jedes Mal betete ich zu Gott, dass du leiden musst. Obwohl ich die nie gekannt habe, hasste ich dich. Denn ich hatte nie ein Zuhause, habe nie zu jemandem
gehört

    »Ich habe auch gelitten.«
    »Ich hasste dich dafür, dass du nicht da warst, dass du nicht existiertest. Und jetzt, wo ich dich gefunden habe, existiert du noch immer nicht.«
    »Du verstehst nicht, Anna. Wir brauchen dich.«
    »Brauchen, brauchen, brauchen. Was ist mit mir? Ich hätte auch jemanden gebraucht.« Von tiefen Schluchzern geschüttelt ließ Anna das Kleeblatt auf das Gras fallen. »Geh weg. Ich glaube nicht an dich.«
    »Anna«, sagte Sylva. »Sie mag vielleicht tot sein, aber sie ist dein Fleisch und Blut.«
    »Darauf kann ich verzichten. Ich habe all das so satt.« Anna schlängelte sich zwischen den Grabsteinen hindurch, ihr Blick verschwommen von den vielen Tränen. Sie erkannte kaum, wohin sie trat, wollte einfach nur weg von hier, zurück in ihre gewohnte Welt voller Schmerzen und Einsamkeit.
    Hinter sich hörte sie Rachels Stimme, die deutlich schwächer als vorher, wie das leise Echo aus einem schier endlosen Tunnel, über das Gras hallte. »Er verfolgt uns, Anna. Wir sind tot und
er verfolgt uns immer noch

    Anna verlangsamte ihren Schritt nicht. Sie war hierher gekommen, um ihren eigenen Geist zu finden. Aber jetzt, wo sie ihn gefunden hatte, war alles noch viel schlimmer als sie es jemals zu träumen gewagt hätte. Ihr Geist brachte ihr nicht den erhofften Trost und war auch kein Lichtblick für das Leben nach dem Tod. Ihr Geist versprach ewige Einsamkeit und machte ihr deutlich, dass sie niemals eine Familie haben würde, ganz gleich, ob sie nun vor dem Grab stehen oder darin liegen würde.
    »Du weißt nicht, wie sich das anfühlt«, rief Sylva ihr hinterher. Die Worte schwangen im kühlen Oktoberwind hin und her. »Es ist noch viel schlimmer als seine eigene Tochter zu verlieren. Ich sollte das wissen, denn ich habe Rachel verloren.«
    Anna blieb abrupt stehen, ganz in der Nähe des Schattens, den das Denkmal von Ephram Korban auf die Erde warf. Scheinbar im Zeitlupentempo drehte sie sich um, auf ihren Wangen bildeten sich Rinnsale des Zorns und der Trauer, ihre Glieder waren fast taub vor Schmerzen angesichts dieser neuen undenkbaren Wahrheit.
    Ephram Korban und Sylva.
    Dann Rachel.
    Jetzt Anna.
    Durch ihren Tränenschleier hindurch erschien ihr Korbans Name, die in Stein gemeißelten Buchstaben auf dem Monument wirkten jetzt noch bedrückender und ließen ihr die ganze Schwere von Sylvas Worten bewusst werden. Blut. Ephram Korbans Blut floss durch ihre Adern. Befleckte sie in der gleichen Weise wie diese Gabe des Sehens, die wie ein Fluch über ihrer Blutlinie hing. Beschmutzte die altehrwürdige Erde der Appalachen, die nicht in der Lage war, den Verstorbenen ihre letzte Ruhe zu gönnen.
    Sylva rief noch einmal hinter ihr her, aber Anna hörte gar nicht mehr hin. Sie kletterte über den Zaun, in ihr Herz brannte sich nur ein einziger Wunsch ein.
    Tot bleibt tot.
    Tot bleibt tot für immer.

42. KAPITEL
    M ason wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl er sein Shirt ausgezogen hatte, war ihm noch immer zu heiß. An seiner Brust und an seinen Armen klebten Eichenspäne. Die Schmerzen in seinen Schultern hatten sich in ein dumpfes, stetiges Hämmern verwandelt, dass nur noch ganz leise in seinem Hinterkopf zu hören war.
    Sein Bildhauermeister in Adderly, Dennis Graves, hatte ihm einst erklärt, dass Ausdauer das Fundament jeder Art von Kunst bildet. Und so hatte Masons erste Aufgabe auch darin bestanden, die Buchstaben des Wortes »Ausdauer« in ein Stück Kiefernholz zu schnitzen. Sein noch unbeholfenes Erstlingswerk hatte einen Ehrenplatz auf dem Fernsehgerät seiner Mutter gefunden. Voller Stolz hatte er es ihr damals überreicht, fast so wie ein Kindergartenkind, das ein selbst gemaltes Bild mit nach Hause bringt. Das war, bevor sie blind wurde. Doch

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