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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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mir das Bild«, forderte Anna ihn auf.

45. KAPITEL
    V orsichtig zog William Roth die Negative aus der Glasdose. Er hatte in seinem Leben weiß Gott schon Hunderte Filmrollen abgewickelt, aber dies war das erste Mal, dass er es in einem Weinkeller tat. Rotlicht wäre jetzt ganz praktisch gewesen, aber es ging auch ohne. Schließlich hatte er bereits Bilder in einem Zelt im Sudan und in einer Hütte im Amazonas-Becken entwickelt. Und so mischte er die Chemikalien im fahlen Licht einer Laterne, löschte die Flamme, machte seine Arbeit und wässerte die Rolle anschließend gründlich.
    Nun musste der Film nur noch trocknen. Hier unten im Keller wehte kein einziges Lüftchen. Das war auch gut so, denn so konnte man den groben Dreck von der Emulsion fernhalten. Und Dreck gab es an diesem Ort mehr als genug. Durch das ständig brennende Feuer im Kamin wurde die Asche kreuz und quer im Haus verteilt. Dann noch dieser Mason, der unaufhörlich Holzspäne produzierte und jede Menge Staub aufwirbelte.
    Roth tastete sich an der Oberfläche der Werkbank entlang, bis er das warme Gehäuse der Laterne fühlte und daneben die Streichhölzer fand. Er zündete ein Streichholz an und hielt es an den Docht. Quer durch das Zimmer hatte er eine Schnur gespannt, an der er nun die sechs Filmrollen mit Wäscheklammern befestigte, die er sich vom Dienstmädchen geborgt hatte. Nachdem er den letzten Filmstreifen aufgehängt und das Ende der Rolle mit einer zusätzlichen Klammer fixiert hatte, leuchtete er mit der Laterne auf seine Aufnahmen, um sie aus der Nähe zu betrachten.
    Da waren diese Schnappschüsse von der Brücke, die sich schon jetzt, als farbloses schwarz-weiß-graues Negativ, als echte Glanzstücke offenbarten, die der Legende um den Fotografen Roth Vorschub leisten würden. Er ließ seinen Blick über die quadratischen Kästchen schweifen bis hin zu den Aufnahmen, die er von Lilith auf der Brücke gemacht hatte.
    »Verdammte Scheiße, kann das wahr sein?« Er hielt die Laterne näher heran, auch wenn er dadurch riskierte, dass sich die Filmstreifen durch die Wärme verzogen.
    Er erkannte die Brücke in ihrer ganzen Länge bis hin zu der Stelle, wo sie in den Bäumen verschwand, hinter denen Black Rock und die Zivilisation warteten. Diese gruseligen Raben auf dem Brückengeländer wirkten auf den Negativen ziemlich platt und das mit Reif überzogene Spinnennetz spannte sich wie ein dunkles Stück Spitze über das Bild. Aber Lilith war auf keiner der Aufnahmen zu sehen.
    Roth rieb sich die Augen. Vielleicht hatte er den Film zu weit vorgespult und die Bilder von ihr gemacht, nachdem das Ende der Rolle erreicht war. Aber so etwas passiert doch nur einem trotteligen Hobbyfotografen und keinem Profi. Wann hatte Roth das letzte Mal einen Fehler gemacht?
    »Gottverdammte Scheiße«, flüsterte er mit einem Akzent, der eine Mischung aus Manchester-Englisch und Cleveland-Arbeiterslang war. Wahrscheinlich war es Zeit für einen Drink. Gemütlich am Kamin. Ganz entspannt. Wenn er so weiter machte, würde sich sein Ruhm in Luft auflösen, sein vorgetäuschtes Charisma wäre dann nichts mehr wert. Das wäre besonders jetzt fatal, wo er sich an Spence die Zähne auszubeißen schien. Wenn Roth nicht bald ein bisschen mehr Glück beschieden war, würde er den Fluch von Korban oder so was in der Art dafür verantwortlich machen.
    Er hob die Laterne in die Höhe, im Lichtschein sah er die staubigen Böden der Weinflaschen um ihn herum, die den Geist der Vergangenheit atmeten. Er zog eine Flasche aus einem der Regale an der Wand. Auf dem dunklen Glas klebte ein einfaches Etikett, was darauf hindeutete, dass die Flasche hier auf dem Anwesen abgefüllt worden war. Jemand hatte mit Tinte das Jahr
1909
darauf geschrieben.
    Wahrscheinlich ein guter Jahrgang. Gut genug, um zumindest diese Erinnerung an den Moment auf der Brücke aus dem Gedächtnis zu löschen. Vielleicht auch gut genug, um das Herz der reizenden Lilith zu erobern und sich den Weg zwischen ihre Beine zu bahnen.
    Mit der Flasche unter dem Arm stürzte Roth aus dem Keller und überließ seine Fotos der Finsternis.

46. KAPITEL
    »S ie lässt mich nicht gehen«, sagte Adam.
    »So ein Mist!« Paul zog noch einmal an seinem Joint. Der süße Geruch von Marihuana schwebte über die Veranda hinter dem Haus hinweg. »Wirklich schade, Prinzessin.«
    Das war bereits Pauls dritter Joint an diesem Tag. Auf eine rationale Unterhaltung brauchte man nicht mehr hoffen. Aber war es nicht schon immer so

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