Die Tunnel der Seele
übelriechend, seine Zunge hartnäckig wie die einer Schlange, sein Mund fest auf den seinen gepresst, sodass es ihm den Atem raubte. Jegliche Kraft wich aus seinem Körper, zurück blieben nur Erschöpfung und völlige Leere. Korban saugte ihn in den langen Tunnel hinein zu dem, was hinter der Kurve wartete. Adam wusste, was es war: Die Sache, die er am meisten fürchtete.
Auf Adam wartete nichts als Leere. Wenn er die umherirrenden Geister in seinem Teil des Tunnels passiert hatte, würde er seinem Albtraum aus der Kindheit begegnen. Würde erneut qualvoll ersticken. Würde nichts sehen, nichts hören, nichts fühlen außer den Stoff, der ihn mit totaler Finsternis umhüllte. Der ihn in ein fades, atemloses Nichts stürzte. Ein Nichts, das jegliches Gefühl aus ihm herauswürgte.
Jegliches Gefühl außer der Angst, die man in der Einsamkeit spürte. Und die Furcht vor der Erkenntnis, dass dieser Zustand das Ende ist und sich niemals ändern würde. Dass man bis in alle Ewigkeit allein wäre.
War dies der Grund, warum er sich so sehr ein Kind herbeisehnte? Weil er von jemandem gebraucht werden wollte? Weil er jemanden haben wollte, der ihn nicht verlassen würde, der viele Jahre lang bei ihm blieb? Jahre, in denen dieser schreckliche farblose Mantel der Einsamkeit von ihm ferngehalten werden würde!
Er blinzelte und auf einmal stand wieder Paul vor ihm und nicht Ephram Korban. Vom Piano erklang eine Melodie, die sich anhörte wie das Klirren von Eis im Wind.
Nur ein Déjà-vu. Wann hast du das erste Mal geträumt zu ersticken? Mit drei? Zwei? Vielleicht sogar in einem Alter, in dem du der Sprache noch gar nicht mächtig warst?
Und dieses Haus hat alles wieder hoch gebracht. Der Traum schnüffelte um dich herum wie ein fremder schwarzer Hund, der dir nach Hause folgt. Der nicht nah genug herankommt, um sich streicheln zu lassen, aber auch nicht so weit hinter dir zurückbleibt, dass du ihn vergessen kannst.
Adam wusste nicht, was der Traum ihm sagen sollte, und er war auch nicht an der Meinung irgendeines Seelenklempners interessiert. Er wusste nur, dass er nicht allein sein wollte. Selbst wenn das bedeutete, dass er etwas verzweifelt aufgeben, verlieren, festhalten oder an sich reißen musste. Er schlang seine Arme um Paul und klammerte sich an ihn, als ob er im Treibsand unterzugehen drohte.
Der Traum von seinem Tod. Ephram Korban. Die Geister. Alles gehörte zusammen. Das Haus würde ihn beim Schopfe packen und mit Haut und Haaren verschlingen. Mutterseelenallein, sofern er nicht jemanden mit sich zog in diese atemlose Stille der Finsternis.
»Du bist mir nicht scheißegal«, flüsterte Paul ihm ins Ohr. »Merkst du das nicht?«
Paul liebte ihn vielleicht nur auf sexueller Ebene, begehrte seinen Körper. Aber das war okay. Denn ihre Beziehung hatte sowieso keine Seele, ihr Verhältnis war nicht von tiefer Natur. Zwei Seelen können niemals zu einer verschmelzen, selbst im Traum nicht.
Adam stieß einen tiefen Seufzer aus. Er hasste diese Gefühle, die seinen Körper überfluteten, diese Leidenschaft, die ihn immer wieder in die Irre führte. Aber Liebe und Hass waren im Grunde genommen dasselbe und beide waren besser als gar nichts zu fühlen. Alles war besser als diese erstickende Einsamkeit, die ihm in seinem Tunnel der Seele auflauerte. Er zog Paul näher an sich heran.
»Ich habe eine Idee«, meinte Paul. »Lass uns nach oben aufs Dach gehen. Die kleinen Stufen hoch. Lass es uns dort treiben, wo du in deinem Traum warst. Ich werde dich auch nicht hinunterstürzen. Versprochen.«
»Das sagen sie alle«, antwortete Paul. »Und das Nächste, woran du dich erinnerst, ist dein eigener Geist, auf den du herabschaust.«
»Vertrau mir.« Paul nahm seine Hand und führte ihn nach drinnen.
Als sie das Haus betraten, wurde Adam klar, dass man niemals sein Herz verschenkt, egal, wie bereitwillig, verzweifelt oder einsam man ist. Herzen werden immer gestohlen. Durch Gewalt oder Betrug. Liebe war Mord, die Verhängung des Todes in Folge von Herzdiebstahl. Und die Alternative dazu war noch schlimmer.
Korbans Augen blickten vom Porträt auf sie beide herab, funkelten mit kaltem Mitgefühl, im Wissen um die Nutzlosigkeit menschlicher Träume.
47. KAPITEL
A nna hielt die Laterne höher. Der Geruch von modrigem Holz stieg ihr in die Nase und aus den Ecken des Kellers krochen Schatten, die lebendig wirkten. Im flackernden Licht erkannte sie die Statue von Mason, deren grobe Züge eine brutale Härte
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