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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Rawolle
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nämlich im Glauben an die einzig wahre kreative Kraft.«
    Knut, der aufmerksam zugehört hatte, war sich der Besonderheit dieser Mitteilung voll bewusst. Und er ahnte bereits, dass es wahrscheinlich nur wenige solcher beredten Augenblicke, im eher verschlossenen Wesen seines Schwagers, gegeben haben mochte. Deshalb widerstrebte es ihm auch, so groß die Neugier auch war, die Gunst der Stunde mit weiteren Fragen auszunutzen.
    Viel später erst, sie hatten die Insel inzwischen betreten, begann Ernst völlig unerwartet, aber wie es Knut schien, nicht etwa unüberlegt, vom neuen zu berichten. »Hier an dieser Stelle, die damals noch weniger tief ausgeschwemmt war, muss ich mich öfters herumgetrieben haben, denn meine umfangreiche Sammlung aus besonders schönen Steinen, Schnecken, Muscheln und diversen Fossilien, können nur von hier stammen. Außerdem habe ich mich, obwohl ich alles andere als ängstlich war, grauenhaft vor den mitunter heftigen Herbststürmen gefürchtet – und nicht nur als Kind. Aber weshalb, das weiß ich bis heute nicht. Ich weiß nur, dass es etwas mit dem plötzlichen Verschwinden meiner Eltern zutun haben musste.«
    »Und dein Onkel, wusste er es denn nicht?«
    »Vielleicht – doch er hat nie etwas gesagt, und ich fühlte instinktiv; er konnte und wollte vor allem nichts sagen.« Er hob das von Sonne und Wind gegerbte Gesicht dem blassblauen Himmel entgegen, da wo ein größerer Vogel, ein Raubvogel vermutlich, stumm seine Kreise zog. Und wie zu sich selbst murmelte er: »Das ewige Andenken an jene Zeit verschloss ihm wohl den Mund – denn er war mein Vater.«
    »Dein Vater …?«, wiederholte Knut erschrocken.
    »Ja, mein Vater«, bestätigte er erneut. »Ich habe es erst nach seinem Tod, durch puren Zufall erfahren. Außer Dagmar, weiß niemand sonst davon.«
    »Und warum weihst du ausgerechnet mich in dieses, euer Geheimnis ein?«
    »Ich weiß nicht.« Er zuckte leicht die Schultern. »Vielleicht weil du deiner Schwester am ähnlichsten bist.«
    »Ich …? Ausgerechnet ich …? Du verblüffst mich immer mehr!« Direkt hilflos, ja beschämt, suchte er angestrengt in Ernsts unbeweglichem Gesicht nach einer plausiblen Erklärung für diese seltsame Offenbarung. Doch er konnte nichts entdecken, und konnte nur immer wieder fragen: »Wieso in aller Welt kommst du auf so etwas? Ausgerechnet Dagmar …? Verschiedener können wir doch gar nicht sein – und zwar immer schon.«
    »Früher schon, aber nicht jetzt.«
    »Wo liegt denn da der Unterschied? Du kennst mich doch überhaupt nicht.«
    Das eben noch vage Lächeln in Ernsts Gesicht verschwand. Er blinzelte in die Sonne, holte tief Luft und erwiderte gleichmütig, wenn auch bestimmt: »Du irrst, Knut, Dagmar hat mir viel von dir erzählt, immer und immer wieder.« Sein Lächeln vertiefte sich. »Mir war natürlich klar, sie mochte dich mehr als alle anderen. Natürlich hätte sie das niemals zugegeben. Im Gegenteil, sie hatte es sich sogar zur Gewohnheit gemacht, ihre Schilderungen stets mit einer negativen Beurteilung zu beenden – obwohl ihre Augen sie Lügen straften. Um ehrlich zu sein«, lachte er vergnügt auf, »ich konnte es mitunter auch nicht recht verstehen.«
    »Eben«, stimmte Knut in das Lachen ein. »Da gab’s wohl auch nichts zu verstehen.«
    »Nun, ich denke, ganz so einfach dürfen wir es uns auch wieder nicht machen. Wenn Dagmar dich deinen anderen Brüdern vorzog, so mag das schon einen triftigen Grund gehabt haben. Denn, das was sie dir immer am meisten verübelte, bewunderte sie auch am meisten. Vor allem deine angeblich so schreckliche Oberflächlichkeit, samt der verwerflichen Ungebundenheit insbesondere in familiären Dingen. Auch dass du niemals, nicht mal den leisesten Versuch zur einigermaßen gebräuchlichen Sesshaftigkeit unternommen hast; ja nicht einmal im vorgerückten Alter eine diesbezügliche Änderung erkennen ließest, hat sie wahrscheinlich, wenn auch widerstrebend, mit unbändigen Zorn und gleichzeitigen Stolz erfüllt.«
    »Dabei bin ich mir selbst gar nicht mehr so sicher, ob dieses sogenannte Unabhängigkeitsgefühl immer nur aus freien Stücken geschehen ist. Richtig aber ist, ich habe wohl auch nie ernsthaft danach gesucht. Allein schon die Vorstellung, ständig auf alles Mögliche und Unmögliche Rücksicht nehmen zu müssen, Rechenschaft abzugeben und immerzu Kompromissbereitschaft zu zeigen, nun, das wirst hoffentlich auch du einsehen, dass das kein besonders erhebender Gedanke sein dürfte.«

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