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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Rawolle
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genüsslich gegen die Brust. Aber schon wieder ernst werdend, fragte er: »Was meinst du eigentlich mit dem ›absoluten‹?«
    »Hm …« sie überlegte. »Naja, das ist nicht ganz einfach zu erklären. Sagen wir mal so, eine Frau ist in allem was sie denkt und tut, selbst bei Gefühlen, wesentlich absoluter als ein Mann. Gott, wie soll ich das erklären« jammerte sie, als sie seine Ratlosigkeit bemerkte. »Zum Beispiel hasst oder liebt sie viel radikaler – eben absoluter. Aber wahrscheinlich lässt sich das überhaupt nicht erklären, es ist mehr nur so ein vages Gefühl.«
    »Nein, nein, ich versteh sehr gut was du meinst«, nickte er eifrig. »Mich irritierte nur, dass ausgerechnet du das sagst.«
    »Ich weiß. – Am besten du vergisst das alles schnell wieder.«
    Knut lachte. »Typisch Frau, sofort Angst vor ihrer eigenen Courage!«
    »Mag ja sein – deshalb erschrecken mich derartige Blitzempfindungen oft selbst am meisten. Aber mal was anderes, wenn du gleich wieder weiterfahren musst, dann kannst du ja gar nicht deine kranke Mutter besuchen? Oder hattest du das gar nicht vor?«
    Er warf ihr einen merkwürdig verdutzten Blick zu. »Wie kommst du jetzt auf meine Mutter?«
    »Es fiel mir gerade so ein.«
    Sein Gesicht strahlte vor hämischer Schadenfreude. »Und du willst mir weißmachen, dass ich derjenige bin, der dauernd unkontrolliert das Thema wechselt?«
    »Na und …? Ich habe dich trotzdem etwas gefragt.«
    »Natürlich hätte ich sie besucht – was ja nun nicht mehr möglich ist, wie du selbst richtig bemerkt hast. Und wie ich dich kenne, wirst du mich jetzt gleich ganz fürchterlich vorwurfsvoll ansehen, wenn ich dir sage: Sie wird mich wahrscheinlich auch kaum erwarten.«
    »So …?«
    »Siehst du, jetzt guckst du genauso wie ich es vorausgesehen habe!« Er zauderte einen Augenblick, als müsse er sich selbst erst über das ›warum‹ klar werden. »Weißt du, das hat sich im Laufe des Lebens einfach so ergeben. Irgendwann wahrscheinlich, hat meine Mutter aufgehört auf mich zu warten – nicht mehr nach mir auszuschauen. Und obwohl sie sich nie darüber beklagt hat, weiß ich seit meinem letzten Besuch vor einigen Wochen, dass ihr das mit Sicherheit sehr schwergefallen sein muss.«
    »Und warum war das so?«
    »Keine Ahnung. Es war halt so … Es wäre mir auch niemals in den Sinn gekommen, dass daran etwas falsch sein könnte. Oder gar, dass meiner Mutter das möglicherweise weh getan haben könnte. Ich war so mit mir und meinem Leben beschäftigt, dass alles andere mich kaum interessierte. Auch wenn ich mich alle paar Jahre mal für Stunden zu Hause blicken ließ, dann geschah dies mehr oder weniger nur als Durchreisender.«
    »Ja, so ist das …«
    Sie schwiegen.
    Knut nahm das Mikrofon in die Hand und kündigte eine kurze Rast an der nächsten Raststätte an.
    Und Lena sagte ohne ihn anzusehen: »Dann dürfte das wohl die letzte Fahrtunterbrechung sein, nicht wahr?«
    Er nickte. »Ja.«
    Viele der Leute nutzten die Gunst der Stunde, um Verwandte oder Bekannte zu Hause anzurufen, damit sie rechtzeitig bei Ankunft des Busses abgeholt werden konnten.
    »Ich glaube, ich rufe auch am besten mal meine Tochter an; vielleicht kann sie mich abholen«, sagte Lena.
    »Ja, tu das«, antwortete Knut mit abgewandtem Gesicht.
    Als sie nach einiger Zeit zu ihm zurückkehrte, rief sie ihm schon von weiten zu: »Es war niemand da!« Und nach einer Weile fügte sie leicht abwesend hinzu: »Zumindest habe ich meine eventuelle Ankunftszeit auf den Anrufbeantworter gesprochen; falls sie nur kurzzeitig unterwegs sein sollte.«
    »Nun, ich denke, wenn weiterhin alles so gut verläuft, dann dürfte unserer vorgesehenen Ankunftszeit nichts im Wege stehen.«
    »Ja, das denke ich auch …«
    Und wieder schwiegen sie, obwohl es noch so viel zu erzählen, zu fragen und zu wissen gegeben hätte – aber nein, sie standen da und schwiegen. Und gerade als Lena, zu einer, sie mehrfach stark bewegenden Frage ansetzen wollte, wurden sie just in diesen Moment von mehreren Leuten gleichzeitig in ein Gespräch verwickelt.
    Die letzte Strecke also, der uninteressanteste Teil der Fahrt, lud förmlich zum schläfrigen Dahindösen ein. Einige schnarchten sogar ganz kräftig.
    Selbst Lena zog es hin und wieder die Augen zu, und je mehr sie sich den heimatlichen Gefilden näherten, je mehr zog sie sich in sich selbst zurück. Denn sie wusste, dass in etwa zwei Stunden ein Abschied erfolgen musste, der ihr nicht leicht fallen dürfte.

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