Die Ueberbuchte
länger gedauert als ursprünglich angenommen. Es dunkelte bereits und das Wetter war alles andere als schön.
»Du siehst ordentlich abgespannt aus«, sagte Lena zu Knut, der lustlos auf seinen vor sich stehenden Teller blickte.
»Hm, ich weiß auch nicht was mit mir los ist …« Er schob den halbvollen Teller zur Seite, wischte sich sorgsam den Mund mit der Serviette ab, lehnte sich zurück und sagte mit gesenkten Blick: »Komisch, früher hat mir das überhaupt nichts ausgemacht – und jetzt? Dabei habe ich auf der Insel nicht einmal fahren müssen. Denn normalerweise muss ich, bis auf einen Ruhetag vor der Abreise, jeden Tag fahren – und was für Strecken oft!«
»Deshalb, Knut, solltest du etwas mehr Geduld mit dir selbst haben, schließlich warst du mehrere Wochen sehr krank, oder hast du das bereits vergessen?«
»Na schön«, murrte Knut, »das kann aber doch nicht zum Dauerzustand werden. Außerdem hat mir der Arzt meine volle Tauglichkeit bestätigt, sonst hätte ich ja nicht fahren dürfen. Aber trotzdem – ich fühle mich schon nach dieser verhältnismäßig kurzen Fahrt, total erschöpft.« Er stützte den Kopf schwer auf und seufzte. »Ich bin schließlich noch kein alter Mann! Oder was sagst du dazu?«
»Ich könnte zum Beispiel jetzt sagen; ich kenne dieses Gefühl, habe es oft genug selbst erlebt – aber genau das wirst du am wenigsten hören wollen. Doch ob du es hören willst oder nicht, mit dem letzten Drittel deines Lebens, beginnt unweigerlich der Abbau des Körpers. Das ist nun mal so. Auch wenn heutzutage tausenderlei Mittelchen für Einhalt plädieren – bleibt es dennoch nur eine Verzögerung.«
»Ach, Lena, merkst du denn nicht, dass du mir damit auch die letzte Hoffnung nimmst!«
Sie hatte natürlich die Zweideutigkeit herausgehört und schwieg wohlweislich.
Da sich die Gäste mehr und mehr auf ihre Zimmer zurückzogen, verließen auch sie den Raum. Wobei auf der Treppe zu den Gästezimmern, sich noch so mancher Fahrgast genauere Auskunft für den nächsten Tag einholte, so dass er nur schwer von der einmal in Gang gesetzten Redseligkeit loskommen konnte.
Der Morgen so klar und so rein, wie er schöner nicht hätte sein können. Noch hielten sich über dem See dichte weiße Nebelschwaden, die aber bald schon von der höher steigenden Sonne aufgesogen, für vollkommene Klarheit sorgten.
Leise, um ja nicht gehört zu werden, schlich sich Lena in aller Frühe aus dem Hotel. Sie überquerte die noch verhältnismäßig ruhige Straße und ging auf dem schmalen Weg am See entlang. Die vom Gewitterregen der letzten Nacht tropfenden Bäume, glänzten seidig im aufgehenden Sonnenlicht.
Lena blieb stehen, sie lauschte, hielt förmlich den Atem an, denn solch ein vielstimmiges Vogelgezwitscher, von hohen trillernden, pfeifenden, langen und kurzen Tönen, hatte sie in solch einen Umfang noch nie gehört. Der grobe Kies entlang des leicht abschüssigen Weges, knirschte und knackte wenn sie dabei auf die vom Wind herabgerissenen Zweige trat. Das nur leicht bewegte Wasser, war so klar, dass jeder einzelne Stein und weithin jeder Fisch gut zu erkennen war. Plötzlich verhielt sie ihren Schritt, da ein seltsam süßlich herber Duft ihr in die Nase stieg. Sie besah sich den weitauslandenden, windschiefen Strauch etwas näher, dessen Blätter und kleine weiße Blüten in der aufgehenden Sonne feucht schimmernden und dabei einen eigenartigen süßlichen Duft verströmten. Und noch im Schauen vertieft, hörte sie rasche, sich nähernde Schritte. Sie drehte sich um und winkte – es war Knut.
»Hallo, Lena, mein Schatz, einen recht schönen guten Morgen erst einmal!«, rief er ihr in impulsiver Herzlichkeit zu.
Lena horchte auf, denn diese losgelöste, heiter beschwingte Stimme verwunderte sie – und unwillkürlich lauschte sie ihr nach, denn sie liebte diesen überschwänglich warmen Ton – er stimmte sie weich, fast schon ein bisschen melancholisch. »Du strahlst ja so?«, fragte sie ungewollt zurückhaltend.
»Warum auch nicht, ich fühle mich heute blendend!« Und zur Unterstreichung seiner Gefühle, breitete er beide Arme weit aus, als müsse er die ganze Welt umarmen.
»Wie schön, das freut mich – ich kann gar nicht sagen wie sehr …!«
Eine ganze Weile, von ihren Gefühlen und Eindrücken überwältigt, standen sie schweigend, eng aneinander gelehnt da. Und was ihnen wie eine Ewigkeit anmutete, waren in Wirklichkeit nur wenige Minuten. Denn das laute Aufkreischen eines
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