Die Ueberbuchte
hinauf. Dieser Himmel und diese Sonne, das war im Augenblick das Einzige was sie mit Knut verband. Nicht einmal angerufen hatte er – kein einziges Mal; obwohl er doch genau wissen musste, wie sehr sie darauf wartete. – Oder etwa nicht? Sie strich sich über die Augen und murmelte verunsichert: »Warum sollte er wohl …?« – Jäh drehte sie dem Fenster den Rücken zu und begab sich erneut zum Arbeitstisch, tauchte den Pinsel in schwarze Farbe ein und zog Strich um Strich, kurze, lange, gebogene und geschweifte, stärkere und nur angedeutete, einen nach dem anderen.
Da läutete es an der Wohnungstür.
Unwillig horchte Lena auf. »Ausgerechnet jetzt!«, schimpfte sie leise vor sich hin. Aber da schellte es bereits zum zweiten Mal. Sie ging nachsehen. »Oh, du bist es, Ruth!«, rief sie erfreut und riss die Tür weit auf. »Ich habe dich schon öfters anzurufen versucht aber du warst nie zu Hause«, lamentierte sie.
»Du weißt doch, ich war bei meiner Tochter, wegen …«
»Ach ja, na eben, du bist ja Oma geworden; und was ist es?«, unterbrach sie ihre langjährige Freundin und ehemalige Kollegin ungeduldig.
»Ein Junge natürlich, aber das wussten wir ja längst.«
»Eigentlich schade, mir wäre da die Überraschung lieber.«
»Mir zwar auch«, gestand Ruth freimütig. »Aber die Gewissheit, dass mit dem Kind auch alles in Ordnung ist, beruhigt schon ungemein.«
»Und wenn nicht …?«
»Ja dann«, hob Ruth hilflos die Schultern, »das weiß ich auch nicht.« Und mit betrübten Kopfschütteln fügte sie hinzu: »An so etwas möchte ich lieber nicht denken – das wäre einfach zu furchtbar. Aber nun zu dir«, betrachtete sie Lena aufmerksam von oben bis unten. »Wie ist denn dein Urlaub verlaufen? Äußerlich zumindest, scheint er dir vortrefflich bekommen zu sein, so wie du aussiehst!«
»O ja, das war ein wunderschöner Urlaub – ein ganz besonders schöner sogar.«
Ruth stutzte. »Und warum sagst du das so seltsam?«
»Wieso seltsam …?«
»Aber Lena, ich kenne dich schließlich lang genug. Also was ist mit dem Urlaub?«
»Nichts ist – rein gar nichts!«
»Und genau das, meine Liebe, glaube ich dir am aller wenigsten. Du weißt, du hast noch nie gut lügen können – und diesmal schon gar nicht. Nun gut, du wirst sicherlich deine Gründe dafür haben – also bitte, von mir aus …«, wandte sie sich verletzt ab.
Lena lachte. »Du, und dich zufriedengeben, dass ich nicht lache! Ach, Ruth, du würdest doch nie und nimmer Ruhe geben, bis du nicht haarklein alles aus mir rausgeholt hast.«
»Das ist unfair, und das weißt du genau!«, rief Ruth verärgert.
»Ist ja schon gut …«, tätschelte Lena beruhigend ihre Hand. »Du hast ja recht, anstatt mich über deinen Besuch zu freuen, attackiere ich dich mit lauter spitzfindigen Unfreundlichkeiten. Entschuldige bitte, denn in Wahrheit freue ich mich riesig über deinen Besuch. Zumal wir uns schon eine kleine Ewigkeit nicht mehr gesehen haben.«
»Eben«, unterbrach Ruth mit einer hastigen Geste, »und deshalb möchte ich dich auch zum Essen in der neuen Gasstätte einladen.« Sie überlegte. »Im Moment will mir einfach der Namen der Gaststätte nicht einfallen; aber du weißt schon, gleich um die Ecke, neben den Anlagen, da wo früher die Imbissbude stand.«
»Ah ja, ich weiß jetzt was du meinst. Sollte das Haus nicht abgerissen werden?«
»Ja, das stimmt, das war vor längerer Zeit mal im Gespräch. Aber so viel ich gehört habe, soll dieses Gebäude, mit noch weiteren angrenzenden Gebäuden in der Nebenstraße, einen Eigentümer aus den alten Bundesländern gehören.«
Das Schmunzeln um Lenas Mundwinkel vertiefte sich. »Das hätte ich mir fast denken können …« Und nach kurzer Pause fügte sie gutgelaunt hinzu: »Egal wem dies oder jenes gehört, deine Einladung jedenfalls finde ich großartig!«
Ruth strahlte. Sie stützte herausfordernd beide Hände in die Hüften, wobei sich ihre vollen Brüste vorwölbten und sagte mit gespielter Übertriebenheit: »Was glaubst du wohl, für wen ich mich sonst so herausgeputzt habe?«
»Etwa für mich?«, ging Lena auf Ruths Flachserei ein. »Oder erwartest du noch jemand – einen Herrn vielleicht?«
»Ich …? Schön wär’s …«, seufzte Ruth. Sodass die frohe Unbekümmertheit aus ihrem Gesicht wich. Sie sah Lena mit ihren schönen braunen Augen, sehr ernst, fast demütig traurig an. Selbst die eben noch herausfordernde Haltung, war einer totalen Hilflosigkeit gewichen. »Wenn du
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