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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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sie langsam Vertrauen zu mir fassen konnte. Wenn ich sie nur aus dem Gefängnis herausbekäme – aber ich wusste, dass daran nicht zu denken war.
    Zum Glück konnte ich nun wenigstens mit Binny telefonieren. Es war ein verzweifelter Versuch, aber meine einzige Chance, aus dem Haufen von Fehlinformationen, mit denen ich, wie es den Anschein hatte, von allen Seiten gefüttert wurde, wenigstens ein Körnchen Wahrheit herauszufiltern. Ganz besonders aufgeschreckt hatte mich Harpreet Singhs Andeutung, Amarjit könne etwas mit Shardas Verschwinden zu tun haben, dass er mehr wusste, als er zuzugeben bereit war. Doch mindestens ebenso beunruhigend fand ich, dass Binny mit mir kommunizieren wollte, ohne dass dabei die Gefahr bestand, angezapft zu werden, und dass sie weder mein Mobiltelefon noch den Internetanschluss in dem Gästehaus für sicher hielt. Wer könnte an meinem prosaischen Dasein ein Interesse haben? Und, noch wichtiger: Was würde man unserer Unterhaltung denn wohl ablauschen können? Glaubte jemand vielleicht, dass ich Durga letzten Endes doch in die Falle tappen lassen könnte, obwohl Amarjit mir doch versichert hatte, dass es sein Ziel war, sämtliche Vorwürfe gegen sie auszuräumen?
    Ich bewegte mich wie eine alte Frau, als ich aus dem Bett kletterte und auf wackligen Beinen in die Badewanne stieg. Es wurde alles nicht besser dadurch, dass der Strom wieder ausgefallen war und das Notstromaggregat gerade eben genug Saft erzeugte, damit der Ventilator sich zu einem Tempo aufschwingen konnte, bei dem jede Umdrehung die dichte Masse an Hitzemolekülen allenfalls ein bisschen aufrührte. Der Kater, den ich mir mit dem Versuch, entscheidend zur Dezimierung der Alkoholvorräte in der Region beizutragen, eingehandelt hatte, hockte auf meinem Kopf wie ein fetter Dämon. Ich habe immer gewusst, dass man besser nicht alleine trinken sollte. Das war der erste Schritt auf dem Wege zur Alkoholikerin. Doch das war mir jetzt egal. Wenn ich bloß diesen Fall lösen und nach Hause zurückkehren könnte, dann würde ich ein neues Leben anfangen – irgendwo möglichst weit weg von Jullundur.
    Innerlich stöhnend, begab ich mich auf die beschwerli che Fahrt zum Gefängnis. Es war an der Zeit, dass ich mal ein ernstes Wort mit Ramnath redete, sowie er aus Amritsar zurück war. Möglicherweise hatte meine Mutter doch recht damit (irgendwann bekam ja jede Mutter recht), dass ich diesen »verdammten Kram« viel zu ernst nahm. Vielleicht sollte ich ihnen meinen Bericht auf den Schreibtisch knallen, ein paar Vorschläge machen und dann das Weite suchen. Dies hier hatte nichts mit mir zu tun, alles war viel zu undurchsichtig, und wie es aussah, könnte es gut sein, dass ich den Rest meines Lebens damit zubringen würde, herauszufinden, wo Sharda war. Und dabei wusste ich nicht einmal, ob ihr Wiederauftauchen überhaupt gut für Durga sein würde. Wo sich doch alle darin einig schienen, dass es für mich sicherer wäre, nicht zu viel zu wissen, warum setzte ich dann Himmel und Erde in Bewegung (wobei Himmel und Erde sich in diesem Augenblick ohnehin viel zu schnell um mich drehten), um den Kopf eines jungen Mädchens aus der Schlinge zu ziehen, das sich weigerte, offen und ehrlich mit mir zu sprechen?
    Als ich gerade durch das Tor schritt, das einer militärischen Festung würdig gewesen wäre, erblickte ich eine Gruppe weiblicher Polizisten, die einige Frauen in eine Zelle drängten. Ich wusste sofort, dass es Bengalinnen waren. Das erkannte ich an ihrer Kleidung sowie an den lautstarken Protesten, die ein paar von ihnen von sich gaben. Zwischen ihnen und dem Polizeikader des Punjab gab es ein offensichtliches Kommunikationsproblem, denn die Bewacherinnen schienen sich über das laute Gekeife entweder nur lustig zu machen oder sich allenfalls davon gestört zu fühlen. Wie aus den Protesten der Frauen herauszuhören war, versuchten sie, mit allem, was sie bei sich trugen, ihre Freiheit zu erkaufen, und zimperlich waren sie dabei nicht. Es war leider nur zu offensichtlich, was einem das über diese Frauen sagte.
    In letzter Zeit hat es immer wieder Fälle gegeben, bei denen Frauen für ein paar tausend Rupien in Murshidabad gekauft und dann in den Punjab gebracht wurden, um hier für einen Farmbesitzer oder einen anderen Dienstherrn zu arbeiten. Von Wohltätigkeitsorganisationen, die sich um das Los von Sexarbeiterinnen

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