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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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während andere total aufgedreht wirkten.
    Â»Aii, Sahib! Was ist los?«, hörten wir plötzlich die dunkelhaarige Anführerin der Truppe rufen. »Diese Mädchen wollen alle in Kürze heiraten. Warum sind wir hier? Ich kann für jede von ihnen einen Heiratsantrag vorweisen. Die große Zeremonie für sie alle zusammen soll nächste Woche stattfinden. Warum kommen Sie nicht auch?«
    Ramnath lachte laut auf. »Warum sagst du nicht die Wahrheit?«, rief er zurück.
    Â» Ram kasam , Sahib. Das ist die Wahrheit. Diese Mädchen sind alle verlobt. Ich habe Bilder von ihnen gezeigt, und nachdem sie alle von einem Bräutigam auserwählt worden sind, bin ich mit ihnen hergekommen.«
    Die Frau sprach Punjabi mit einem ausgeprägten bengalischen Dialekt. So einen eigentümlichen Sprachmix hatte ich noch nie gehört. Es war faszinierend.
    Â»Du meinst, du verdienst mit keiner von ihnen Geld?«
    Â»Aber, Sahib, wie können Sie nur so etwas sagen?«, ki cherte die Frau. »Das sind alles meine Schwestern. Soll ich mich etwa nicht freuen, meine Schwestern glücklich in ihrem neuen Heim zu sehen? In Murshidabad gibt es keine Arbeit, kein Geld, keine ordentlichen Männer. In Punjab, da bekommen wir sehr gute Jungs. Sie sorgen für uns. Mein Ehemann, er ist auch ein sehr guter Mann.«
    Ich sah Ramnath an. »Sie können sie nicht hierbehalten, wenn sie verheiratet ist. Vielleicht will sie sie wirklich alle verheiraten? Können Sie ihr das Gegenteil beweisen?«
    Â»Ich denke, ein paar Tage in der Gemeinschaftszelle werden alle offenen Fragen klären.«
    Jeder, der weiß, wie es in einem indischen Frauengefängnis zugeht, wird verstehen, warum meine Abneigung gegen Ramnath in diesem Augenblick noch viel größer wurde. Ich wandte mich abrupt ab und strebte dem Besucherraum zu, in dem Durga bereits auf mich wartete. Auch ihr war der Aufruhr im Hof nicht entgangen.
    Â»Wer sind all diese Mädchen?«, erkundigte sie sich neugierig. Ich wertete es als ein gutes Zeichen, dass sie Interesse an anderen Menschen zeigte. In ihr maskenhaft ausdrucksloses Gesicht kam endlich etwas Bewegung. Zugleich empfand ich jedoch schreckliches Mitleid mit ihr. Was hatte sie hier zu suchen? Eigentlich sollte sie jetzt in der Schule sein. Was wusste sie in ihrem Alter bereits von Prostitution?
    Â»Nun, wenn es nach der Frau geht, die die Älteste von ihnen zu sein scheint, sind sie alle aus Bengalen gekommen, um hier zu heiraten.«
    Â»Und das nimmst du ihr ab?«
    Â»Ich … ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich habe gelesen, dass so etwas vorkommt, aber dazu müsste ich mehr über diese Mädchen wissen.«
    Â»Willst du dich über mich lustig machen? Glaubst du, ich kenne die Wahrheit nicht?«
    Ich erschrak fast über ihren scharfen Ton. Der Zorn war wieder in ihre Züge zurückgekehrt. Es war mir vor mir selbst peinlich, dass ich mich von einem jungen Mädchen so anraunzen ließ.
    Â»Warum sollte ich mich über dich lustig machen? Sieh mal, wir alle wissen, dass es … nun … allerhand Handel mit Frauen gibt, vor allem hier im Punjab. Du bist alt genug, dass du das auch mitgekriegt hast. Und vor allem hier drinnen, hier im Gefängnis, meine ich, gibt es eine Menge solcher Frauen. Ich glaube allerdings fest daran, dass sie allesamt eher Opfer sind. Sie werden nur ausgebeutet, und eigentlich sind es die Männer, die Typen, die sie ausbeuten, missbrauchen und vergewaltigen, die hinter Gittern sitzen sollten.«
    Â»In dem Fall müsstest du die meisten der Männer, denen du je begegnet bist, hinter Gitter bringen!«
    Â»Ich finde, du solltest etwas vorsichtiger damit sein, den Leuten solche Sachen an den Kopf zu werfen. Aber falls du irgendwelche Beweise für deine Behauptung hast, will ich dir gerne zuhören.«
    Sie lachte. »Beweise? Mein Gott. Das ist doch jeden Tag passiert. Direkt vor meinen Augen. Vor den Augen meiner Mutter. Vor Shardas Augen. In dem Haus in Company Bagh. Meine eigenen Brüder. Die sogenannten Töchter, die Manubhai angeschleppt hat. Zu welchem Zweck wohl? Warum fragst du ihn das nicht mal?«
    Binnen Bruchteilen einer Sekunde schien sie um Jahre gealtert zu sein. Die Gehässigkeit in ihrer Stimme, die Verachtung in ihrem Blick. Ich würde diese Verwandlung nie vergessen können – wie sich ihre kindlichen Züge zu einer furchtbaren Fratze verzerrten. Ihre Augen

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