Die Ueberlebende
starrten durch mich hindurch in die finstere Höhle ihres Elternhauses. Was hatte sie dort gesehen?
»Und weiÃt du auch, warum? Weil sie schlieÃlich Jungs waren und etwas Spaà brauchten. So, jetzt weiÃt duâs. Wir haben uns diese Mädchen ins Haus geholt. Eine war gerade mal zwölf Jahre alt. Es hat sich natürlich niemand etwas dabei gedacht; sie waren ja nur Tiere, dazu da, um benutzt zu werden. Ich glaube auch nicht, dass sich irgendjemand darum geschert hat, was später aus ihnen werden würde. Manubhai hat dreitausend Rupien für sie bezahlt, wenn ich nicht irre. Das ist weniger, als eine Handtasche von Gucci kostet, nicht wahr? Oder zumindest weniger als ein gutes Essen in einem Fünf-Sterne-Hotel. Am Anfang wurde alles natürlich sehr diskret gehandhabt. Die Mädchen wurden hinaus auf die Farm geschickt. Aber als es dann mit den Drogen anfing, vergaÃen Jitu und Sanjay sämtliche Skrupel.«
»Und deine Mutter?«
»Meine Mutter? Die saà den ganzen Tag in ihrem Zimmer vor ihrem Schrein und betete. Oh, es wurden jede Menge Mantras und Bhajans gesungen, vom Morgen bis zum Abend. Die Menschen im Haus waren ständig am Beten. Es wurden tonnenweise vom Guru gesegnete SüÃspeisen verteilt, während nebenan die Jungs vollgekifft herumlagen.«
»Drogen? Wie konnten denn Drogen in euer Haus kommen? Ich meine, Amarjit hatte doch ein Auge auf â¦Â«
»Ich habe dir bis jetzt nichts davon erzählt, weil ich dich für dumm hielt. Du hältst wohl groÃe Stücke auf diesen Amarjit, oder? Ich glaube, du nimmst ihm sogar ab, dass ihm an mir etwas gelegen ist. Oh, nein! Nicht Amarjit. Und ganz bestimmt nicht Ramnath. Und was die Drogen betrifft ⦠wenn ich welche will, bekomme ich sie spätestens morgen. Hier, mitten im Gefängnis. Denkst du etwa, Ramnath hätte darum gebeten, dass du herkommst? Nein, er wurde dazu gezwungen. Dieser Fall zieht viel zu groÃe Kreise. Worum es ihm geht â¦Â«
Sie holte scharf Luft und sprach nicht weiter. Ich sah plötzlich blanke Angst in ihren Augen, die an mir vorbei zur Tür schielten, in der Ramnath erschienen war und uns beobachtete. Durga verkroch sich geradezu vor ihm. Das wütende Gesicht einer reifen Frau verwandelte sich wieder in das eines Kindes. Ich musste an ihre Vergewaltigung und an die blauen Flecken an ihrem Körper denken â kein Wunder, dass sie mit Männern Probleme hatte. Doch in diesem Bruchteil eines Augenblicks spielte sich irgendetwas zwischen Durga und Ramnath ab, etwas, das so heftig war, dass man die Spannung förmlich in der Luft spüren konnte. Natürlich war Ramnath mit ihren Eltern bekannt und ständiger Gast in ihrem Haus gewesen. War das der Grund dafür, dass sie solche Angst vor ihm hatte? Und was noch besorgniserregender wäre: Wie viel von unserem Gespräch hatte er bereits mit angehört?
Als er etwas sagte, klang seine Stimme halb schmeichlerisch, halb verführerisch. »Wie geht es dir, meine Kleine? Wirst du hier auch gut versorgt?«
Durga sprang auf die FüÃe, ihre Hände, die sie vor dem Körper gefaltet hielt wie ein Schulmädchen, das gleich etwas vortragen sollte, zitterten. Es kam mir so vor, als wäre diese Situation ihr nicht gänzlich unvertraut, als wäre sie instruiert worden, das zu sagen, was sie jetzt sagen würde. Doch die Worte schienen ihr in der Kehle steckenzubleiben. Auf ihrer Stirn bildeten sich SchweiÃtropfen, und sie nickte kaum merklich mit dem Kopf.
Nein, sie würde jetzt keinen auswendig gelernten Text herunterleiern. Vielmehr bereitete sie sich darauf vor, bestraft zu werden. Ihre Furcht vor ihm schien Ramnath zu befriedigen. Er betrachtete sie mit der gleichen Intensität, mit der ein Botaniker ein Insekt unter die Lupe nimmt, das hilflos in seiner Pinzette zappelt. Was immer er mit dieser Machtvorführung auch beabsichtigen mochte â er hatte erreicht, was er wollte.
Auch ich erhob mich rasch, denn es war nur zu offensichtlich, dass Durga in seiner Gegenwart kein Wort mehr sagen würde. Und ich wollte auch gar nicht, dass sie noch etwas sagte. Ich begann, endlich einen Silberstreifen am Horizont zu entdecken, und den wollte ich nicht so rasch wieder zum Verglimmen bringen. Also schenkte ich Ramnath mein gewinnendstes Lächeln. Um Durga von seinem Blick abzuschirmen, trat ich näher, ein wenig zu nah, an ihn heran.
»Ich muss schon sagen, dass diese
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