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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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machen. Die blieb reglos auf dem Bett liegen und schien weder die Anwesenheit einer weiteren Person noch das Aufflackern des Blitzlichts, das sie doch blenden musste, wahrzunehmen.
    Ich saß solange draußen, unfähig, mich von der Stelle zu rühren. Nachdem Gurmit seine Arbeit erledigt hatte, fragte ich ihn, ob wir Sharda mitnehmen sollten. Die Schwester weigerte sich jedoch, die Handfesseln aufzuschließen. Als Gurmit ihr mit allen möglichen ernsten Konsequenzen drohte, behauptete sie schließlich, die Schlüssel befänden sich bei Ramnath.
    Während wir uns noch mit ihr herumzankten, erschien mit einem Mal Manubhai, der sich die ganze Zeit über so rar gemacht hatte, und da wusste ich, dass es keinen Zweck mehr hatte. Er drohte uns damit, Ramnath hinzuzuziehen, und das bedeutete, dass es für uns hier nichts mehr zu unternehmen gab. Er versuchte sogar, Gurmit die Kamera zu entreißen, aber Gurmit legte rasch den Arm um mich und zog mich hinaus zum Auto. Ich habe dann noch weitergeschimpft und protestiert, aber an die Einzelheiten kann ich mich bis heute nicht erinnern.
    Ãœberhaupt dringt mir das meiste, was ich an diesem Tag erlebt habe, immer wieder nur in einzelnen, kurzen Erinnerungsschüben ins Bewusstsein – so, wie ein jäher Blitz eine finstere, stürmische Nacht erhellt. Während der übrigen Zeit bleibt alles wie verschüttet, unzugänglich, ein nichtssagendes Durcheinander von Gesichtern und Stimmen.
    Erst, als wir im Auto saßen, ließ ich mich vollends gehen und brach förmlich zusammen. Ich weiß nicht, wessen Auto das gewesen ist oder was ich zu dem Fahrer gesagt habe, mit dem ich gekommen war. Ich legte meinen Kopf auf Gurmits Schulter und weinte während der ganzen Fahrt nach Amritsar. Als er mir die Unterlagen zeigte – darunter Durgas Aufzeichnungen aus dem Gefängnis – kamen mir nur umso heftiger die Tränen.
    Von ihm bekam ich auch Ausdrucke von Binnys besorgten Mails mitsamt Bildern von dem grünäugigen Rahul und der kleinen, an eine Puppe erinnernden Mandy. Doch das Bild von Rahul war es, von dem ich den Blick einfach nicht losreißen konnte. Warum hatte ich so lange vor dem Offensichtlichen die Augen verschlossen? Mich umfing ein unglaubliches Gefühl der Erleichterung darüber, dass ich nun endlich der Wahrheit näherkam – doch es wurde begleitet von einem schmerzlichen Gefühl des Verlustes.
    â—† ◆ ◆
    An [email protected]
    das ist nun der vierte tag an dem ich dir schreibe und keine antwort bekomme. ich habe es auch schon im gästehaus versucht, nachdem ich endlich von amarjits büro die nummer gekriegt habe, aber dort sagt man du bist den ganzen tag weg. ich weiß nicht, was sich da tut, und von verschiedenen journalisten höre ich alle möglichen gerüchte. ist es wahr, dass man durga nach amritsar gebracht hat. warum warum warum?
    Wo steckst du nur, ich bin krank vor sorge. ich habe schon wieder einen anruf von harpreetsir bekommen, aber ich habe meiner mutter gesagt, sie soll ihm sagen, dass es mir nicht gut geht. und das stimmt ja auch – ich hatte geglaubt, dass es dir gelingt, durga da rauszuholen … weißt du eigentlich, dass sie als kind von dieser familie fast umgebracht worden ist, so wie ihre schwester? sie haben ihre töchter nie haben wollen. deswegen hat sie immer versucht, mich zu beschützen. schließlich hatte sie 14 jahre lang leiden müssen – stell dir doch mal vor, du weißt, dass du ein ungewolltes kind bist, total entbehrlich. sie war deswegen immer nur wütend, und jetzt richten sie ihre wut gegen sie. lass das nicht zu.
    bitte schreib mir bald. alles liebe von uns allen,
    binny

14. KAPITEL
    Der Tag fing wieder merkwürdig an. Der Arzt ist gekommen, ich musste alles, was ich am Körper trug, abgeben, sogar meinen Armreif und meine Ohrringe, und ein Krankenhaushemd anziehen. Er sagte, er müsste ein paar Tests mit mir machen, und ha t mir eine Spritze gegeben, so dass ich wieder eingeschlafen bin. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich etwas gegessen habe, denn alles schien ineinander zu verschwimmen, Tag und Nacht verwischten sich. Dann musste ich in einen Lieferwagen steigen, und man hat mich woanders hingefahren. Hier ging es sehr streng zu, ich hörte Schreie und Geschimpfe, und ich kam in eine Zelle mit Eisengittern rundherum. Aber ich wusste, dass es kein normales Gefängnis war, denn alle schubsten mich

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