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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
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Wandschrank eingeschlossen, um ein Haar wäre er erstickt.«
    Â»Gibt es einen Arzt, der nach ihr schaut?«
    Â»Nein.«
    Â»Und wer gibt Ihnen dann Ihre Anweisungen?«
    Sie zögerte. »Manubhai und ich kümmern uns jetzt um sie. Früher ist die Familie noch gekommen, oder Jitu. Aber jetzt …«
    Ich blickte über ihre Schulter und sah, dass Shanti sich auf den Boden gesetzt hatte und ihrem Kind die Brust gab. Neben sie hatte sich ein weiteres, nicht minder junges – und schwangeres – Mädchen gekauert. Jitu war ausgesprochen produktiv gewesen.
    Â»Und diese Mädchen helfen Ihnen?«
    Â»Sie versuchen es, aber sie sind natürlich überhaupt nicht dafür ausgebildet.«
    Â»Sind Sie es denn?«
    Zum ersten Mal huschte der Anflug einer Gemütsregung über ihr Gesicht. »Ich habe dreißig Jahre lang im Gefängniskrankenhaus gearbeitet.«
    Nicht gerade eine glänzende Empfehlung, aber zumindest dürfte ihr der Umgang mit Medikamenten nicht gänzlich fremd sein.
    Â»Und wann hat man Sie hier eingestellt?«
    Â»Vor gerade mal einem Jahr etwa. Vorher hatte man sie unter ganz entsetzlichen Umständen gehalten, wie ein Tier. Keine Kleider, alles dreckig, Läuse im Haar. Nun aber bade ich sie und säubere sie auch mindestens zwei Mal am Tag.«
    Während sie zu mir sprach, streichelte sie weiter Shardas Stirn. Die beruhigende Berührung schien ihre Wirkung nicht zu verfehlen, denn Durgas Schwester hörte zu schreien auf und gab nur noch leise Klagelaute von sich. Sie versuchte, sich aufzusetzen, und wandte mir dabei das Gesicht zu, aber es war, als versuchte eine Blinde, etwas zu erkennen. Ihre Kleidung, die nur aus einem langen Kaftan bestand, war ihr übers Knie hochgerutscht und entblößte Schorf und Narben von früheren Verletzungen. Die Hand, mit der sie an das Bett gefesselt war, zuckte schwach. Es erinnerte mich an einen flatternden weißen Schmetterling. Und sie war blass – ich hatte noch nie einen so fahlen Menschen gesehen. Selbst ihr Haar war weiß, und dabei war sie doch erst zwanzig Jahre alt und die Mutter eines kleinen Sohnes. Aber sie sah aus wie eine gebrechliche, ausgezehrte Frau von sechzig, so schlaff hing ihr die Haut von den Knochen. Es war ein hoher Preis, den sie für diesen einen Sommer der Liebe hatte zahlen müssen.
    Die Krankenschwester ging hinaus, um eine Medizin zu holen, und ich wandte mich Shanti zu.
    Â»Kommt Ramnath ab und zu her?«
    Sie nickte.
    Â»Bezahlt er euch?«
    Wieder ein stummes Kopfnicken. Und dann stellte ich ihr die Frage, um die es sich am allermeisten drehte.
    Â»Und Harpreetsir, der Mann mit den grünen Augen? Kommt er sie auch manchmal besuchen?«
    Wiederum nickte sie. Jetzt hatte ich mehr erfahren, als ich eigentlich hatte wissen wollen, aber das gehörte eben alles zu diesem großartigen, wundervollen Dasein, das wir unser Leben nennen. Eben glaubst du noch, du hättest alles im Griff, und im nächsten Augenblick zerplatzen mit einem Knall deine sämtlichen Illusionen.
    Wäre dieses bedauernswerte Mädchen etwas umsichtiger dabei gewesen, in wen sie sich verliebte, wäre sie nie so benutzt und missbraucht worden. Für diesen einen Mann hatte sie alles hergeben müssen – und bekommen hatte sie dafür nur eine lange Kette, mit der man sie für den Rest ihres Lebens an ein Bett gefesselt halten wollte.
    Zumindest in einem Punkt waren sich alle einig: dass sie am Leben bleiben musste. Aus einem Grund, den ich zu meinem eigenen Herzschmerz nur allzu bald erfahren sollte.
    Ich sagte dem Fahrer, er solle mit mir vor die Tür kommen. Dann rief ich Gurmit an.
    Mit einem Mal fing ich zu zittern an wie Espenlaub, und die Tränen strömten mir nur so über das Gesicht.
    Â»Ich habe Sharda gefunden.« Noch während ich es sagte, konnte ich nicht zu zittern aufhören.
    Er sagte, er würde sofort kommen – und dass er neue Informationen über Durga hätte, aus irgendwelchen Unterlagen, die er einer der Wärterinnen im Gefängnis abgeluchst hatte. Besagte Unterlagen hatten bestimmt ihren Preis gehabt.
    Ich blieb wie versteinert auf der Veranda sitzen, bis Gurmit eintraf. Nie zuvor war ich so erleichtert, jemanden zu sehen. Er ging sofort ins Haus und begann trotz heftiger Einwände seitens der Schwester, die sich dann aber vor sich hin schimpfend in ein Nebenzimmer verzog, um Amarjit anzurufen, Fotos von Sharda zu

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