Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kishwar Desai
Vom Netzwerk:
Fäden. Aber lass dir von mir gesagt sein, dass ich diese Stadt in- und auswendig kenne, auch wenn ich die letzten zwanzig Jahre nicht mehr hier gelebt habe.«
    Ich beendete die Verbindung und starrte hinaus auf die Senffelder. Ocker. Die Farbe des Mannes, mit dem ich eben gerade geredet hatte. Ich wischte mir die Tränen der Enttäuschung ab und verspürte gleichzeitig Erleichterung darüber, wie locker ich dieses Gespräch wegsteckte. Die Verabschiedung von Amarjit hatte irgendwie eine befreiende Wirkung, ich fühlte mich ihm gegenüber nicht länger verpflichtet. Von jetzt an musste ich selbst sehen, wie ich Antworten auf meine Fragen bekam – und zwar auf meine eigene Weise.
    Ich war auf alles vorbereitet, was da kommen mochte – ich hoffte nur, dass ich am Ende mit Durga nach Hause käme.
    Der Weg zu der Farm der Atwals war beschwerlich – um es unterkühlt auszudrücken. Jeder einzelne Knochen in meinem Körper wurde durchgerüttelt, während sich die schlammige, mit Steinen bestreute Holperpiste, die sich Straße schimpfte, in endlosen Windungen dahinschlängelte.
    Das Grundstück war von einer mindestens sechs Fuß hohen und mit spitzen Metallzinken bewehrten Mauer umgeben – offensichtlich war man hier auf unwillkommene Gäste vorbereitet. Irgendwo hinter der Mauer hörte ich die Hunde kläffen. Der Taxifahrer stieß das knarrende Tor auf, und wir fuhren hindurch.
    Das weitläufige Farmhaus war von Zuckerrohr fast zugewachsen, aber auf unser Hupsignal erschien ein dunkelhaariges Mädchen in der Tür, das ein kleines – sichtlich hellhäutigeres – Kind auf seiner Hüfte trug. Ich schätzte das Mädchen auf nicht mehr als zwölf Jahre, und doch wirkte sie irgendwie abgespannt, und sie trug einen Sari statt eines Kleides. Das Kind in ihrem Arm schien höchstens ein Jahr alt. Während das Mädchen dastand und mich argwöhnisch beäugte, kam ein weiteres Kind aus dem Haus gekrabbelt, stellte sich unsicher auf seine Füße und hielt sich an der Kleidung des älteren Mädchens fest. Wenn dieses allerdings bereits zwei Kinder hatte, war sie möglicherweise doch älter, als ich sie eingeschätzt hatte.
    Ich stieg aus dem Wagen und fragte sie auf Hindi, wer sie sei.
    Â»Shanti«, antwortete sie mit dem melodischen Akzent der Leute aus dem Nordosten, während das Kind, das sie hielt, mich mit einem von keinem Blinzeln unterbrochenen ernsten Starren fixierte.
    Â»Sind das deine Kinder?«
    Sie nickte.
    Â»Wohnst du hier?«
    Mit einer geübten Bewegung verlagerte sie das Kind auf ihrem Arm. »Ich wohne hier und in der Stadt. Ich arbeite für Sahib.«
    Â»Santji?«
    Â»Jitu«, sagte sie im Flüsterton. Danach schniefte sie und wischte sich mit einem Zipfel ihres Saris über die Augen. Jitus Tod ging ihr jedenfalls näher als Binny – deren Auftritt im Fernsehen und deren Mails nach zumindest. Ich betrachtete die Kinder, in deren Adern ganz bestimmt Atwal-Blut floss.
    Â»Bist du schon lange hier auf der Farm?«
    Â»Man hat uns vor drei Tagen hergebracht.«
    Â»Wer ist noch bei dir?«
    Ehe sie antworten konnte, erschien eine weitere Frau, die viel älter war als das Mädchen, und schrie die junge Mutter an, sie solle ins Haus verschwinden. Dann baute sie sich herausfordernd vor mir auf, um mir den Weg zu versperren. Sie hatte dunkles, mit grauen Strähnen durchsetztes, nach hinten gekämmtes Haar, trug einen akkurat am Kragen zugeknöpften strahlend weißen Sari und eine streng wirkende Brille mit schwarzem Hornrahmen und stellte offenbar eine Autoritätsperson dar.
    Â»Was wollen Sie?«
    Â»Ich bin gekommen, um mich hier mal näher umzusehen. Ich arbeite mit der Polizei zusammen an dem Fall.«
    Â»Davon hat uns niemand etwas mitgeteilt. Ich fürchte, Sie müssen wieder gehen.«
    Sie wirkte nicht so, als würde sie Widerspruch dulden. Einen Moment lang war ich um eine Antwort verlegen.
    Â»Warum rufen Sie nicht Amarjit an und überprüfen meine Angaben? Er hat mich gebeten, herzufahren und mich mit Ihnen zu unterhalten.«
    Als sie Amarjits Namen hörte, wirkte sie ein wenig verunsichert. Ich war überzeugt davon, dass sie Amarjit bestimmt nicht gleich an den Apparat kriegen würde, denn der steckte garantiert wieder mitten in einer Besprechung. So würde ich ein wenig Zeit gewinnen, um mich hier ein bisschen

Weitere Kostenlose Bücher