Die Überlebenden der Kerry Dancer
Bug, in der Hand eine Axt, und kappte die Schleppleine, die sich straff über den Dollbord spannte. Nicolson stieß die Pinne sofort hart nach steuerbord, und das Rettungsboot drehte schwerfällig ab nach West. Das Torpedoboot brummte weiter mit unverändertem Kurs nach Nordost und war innerhalb einer halben Minute verschwunden; selbst von den Flammen, die über die Brücke hoch in die Luft stiegen, war nichts mehr zu sehen in den Regenböen und der rasch hereinbrechenden Dunkelheit.
Rasch, und in einem seltsam einmütigen Schweigen, richteten sie den Mast auf, hißten die Segel und entschwanden in den Regen und die Dunkelheit mit soviel Fahrt, wie sie aus ihrer zerfetzten Leinwand herausholen konnten. Der Kurs, den Nicolson steuerte, war Nordnordwest, und auf Backbordseite kam das Wasser bedrohlich nahe an den Dollbord heran. Aber wenn das Torpedoboot sich von dem Schock und dem Brand erholt hatte – und bei einem so großen Fahrzeug war es nicht wahrscheinlich, daß es durch eine Explosion selbst von diesem Ausmaß auf die Dauer manövrierunfähig bleiben sollte –, dann würde es nach ihnen suchen. Es war mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß es sie in südwestlicher Richtung suchen würde; denn dorthin blies der Wind, in dieser Richtung lag die Sunda-Straße und die Freiheit.
Langsam verstrichen fünfzehn Minuten, eine Viertelstunde, in der nichts zu hören war als das eilige, klatschende Geräusch der Wellen, die gegen den Rumpf des Bootes schlugen, das Knattern und Schlagen der zerfetzten Segel, das Knarren der Blöcke und das Klopfen der Rah gegen den Mast. Dann und wann wollte einer von ihnen schon zum Sprechen ansetzen, auf der Suche nach einer Erklärung, wie es zu der Explosion an Bord des Torpedoboots gekommen war. Doch dann richtete sich der Blick auf diese kleine, steif und aufrecht dasitzende Gestalt, mit diesem lächerlichen Strohhut, der auf dem festen Knoten ihres grauen Haares thronte – und wer eben den Mund hatte aufmachen wollen, schwieg. Von dieser kleinen Gestalt, von ihrer starren Haltung, ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Kälte und dem Regen, von ihrer verbissenen Selbstbeherrschung und ihrer völligen Hilflosigkeit ging irgend etwas aus, das jede beiläufige Konversation unmöglich machte, das überhaupt jegliches Gespräch auszuschließen schien.
Gudrun Drachmann war es, die den Mut hatte, den Bann zu brechen, und deren Herzenstakt sie befähigte, genau das Richtige zu treffen. Sie stand vorsichtig auf, den in eine Decke gewickelten Jungen auf dem Arm, und ging über die schrägen Bodenbretter hinüber zu dem leeren Platz neben Miss Plenderleith – dem Platz, auf dem der Brigadier gesessen hatte. Nicolson sah ihr dabei zu und hielt unwillkürlich den Atem an. Wäre sie doch bloß nicht hingegangen, mußte er denken. Wie leicht konnte man da etwas falsch machen, wie geradezu unmöglich war es, es nicht falsch zu machen. Doch Gudrun Drachmann machte es genau richtig.
Ein oder zwei Minuten lang saßen sie nebeneinander, die Junge und die Alte, ohne sich zu bewegen, ohne etwas zu sagen. Dann streckte der Kleine, halb im Schlaf in der nassen Decke, seine kleine, rundliche Hand aus und berührte Miss Plenderleiths nasse Wange. Sie schrak zusammen, wandte sich halb auf ihrem Sitz herum, sah den Kleinen lächelnd an und nahm sein Händchen in ihre Hand. Im nächsten Augenblick hatte sie ihn auf ihrem Schoß und drückte ihn mit ihren mageren Armen an sich. Sie drückte ihn fest an sich, doch es war, als spüre das Kind etwas von der Sonderbarkeit und Bedeutsamkeit der Situation: der kleine Peter machte nur eine schläfrige Bewegung und sah sie, unter schweren Augenlidern hervor, ernst und eindringlich an. Und dann lächelte er, und die alte Dame drückte ihn von neuem und noch fester an sich und erwiderte das Lächeln, sah zu ihm hinunter mit einem Lächeln, als bräche ihr das Herz. Doch sie lächelte.
»Warum sind Sie hergekommen und haben sich hier neben mich gesetzt?« fragte sie das Mädchen. »Warum sind Sie zur mir gekommen – mit dem Kleinen?« Ihre Stimme war sehr leise.
»Ich weiß nicht.« Gudrun schüttelte den Kopf, als sei ihr dieser Gedanke bisher noch gar nicht gekommen. »Es tut mir leid, aber ich weiß es wirklich nicht.«
»Schon gut – ich weiß es.« Miss Plenderleith nahm ihre Hand und sah sie lächelnd an. »Es ist sehr merkwürdig, es ist wirklich sehr merkwürdig. Ich meine, daß Sie hergekommen sind. Denn er tat es für Sie, in erster Linie
Weitere Kostenlose Bücher