Die Überlebenden der Kerry Dancer
Männer ihre Riemen wieder eintauchten und der Bootsmann die Leine nachließ, stürzte dann über den brechenden Kamm der Brandung hinunter und raste durch ein phosphoreszierendes Gestrudel von Schaum und Gischt auf den schräg ansteigenden Strand zu – es war zu schnell gegangen, als daß die See das Öl so weit voraus hätte tragen können –, während die straff gespannte Ankerleine das Rettungsboot so hielt, daß es mit dem Heck genau zur Küste zeigte und das schäumende Wasser an ihnen vorbeirauschte und sie in dem Wettrennen zur Küste überholte. Und erst in diesem Augenblick, als sie das Schlimmste überstanden hatten, entdeckte Nicolson, der angespannt über das Heck voraus starrte, etwas, das nicht war, wie es sein sollte. Er hatte es kaum erkannt, als er auch schon einen heiseren Warnungsschrei ausstieß; doch die Warnung kam zu spät.
Der zerklüftete Unterwasserfelsen – oder vielleicht war es auch die scharfe Kante eines Korallenriffs – schlitzte den Boden des dahinschießenden Bootes vom Heck bis zum Bug auf. Der knirschende Anprall und die plötzliche Verlangsamung riß die Menschen im Boot, die sich irgendwo krampfhaft festgehalten hatten, aus ihren Stellungen und warf sie durcheinander zu einem wirren Haufen aus Armen und Körpern und Beinen, hinten zum Heck hin, und wirbelte zwei oder drei über Bord. Eine Sekunde später neigte sich das schwerbeschädigte Boot heftig zur Seite, schlug um und schleuderte alle miteinander in das strudelnde Brackwasser der Brandung.
An die Sekunden, die darauf folgten, konnte sich später keiner mehr genau erinnern, sie wußten nur noch, daß sie herumgewirbelt worden waren vom Sog der zurückströmenden Brandung, daß sie Wasser geschluckt und sich verzweifelt bemüht hatten, auf dem Kies des ansteigenden Strandes auf die Füße zu kommen, mit dem einzigen Erfolg, von dem kieloben treibenden Rettungsboot herumgestoßen und umgeworfen zu werden. Als sie mühsam wieder hochgekommen waren, da hatte ihnen die rückströmende Brandung die Füße unter dem Leib weggezogen; doch sie hatten sich von neuem hochgekämpft und waren schwankend und taumelnd auf die Küste zugewatet, bis sie sich schließlich keuchend und mit hämmerndem Herzen am Strand hatten hinfallen lassen.
Nicolson machte den Weg alles in allem dreimal. Das erstemal mit Miss Plenderleith. Der Anprall hatte sie in dem Augenblick, als sie hinten über das Heck flogen, heftig gegen ihn fallen lassen, und er hatte instinktiv den Arm um sie gelegt und sie festgehalten, während sie gemeinsam im Wasser versanken. Sie war fast doppelt so schwer gewesen, wie er erwartet hatte, denn sie hatte beide Arme durch die Griffe ihrer schweren Reisetasche gesteckt. Sie hatte sich Nicolsons Bemühungen, sie ihr zu entreißen, mit einer solchen Kraft widersetzt, daß sich Nicolson dieses erstaunliche Phänomen nur erklären konnte als die sinnlose, selbstmörderische Kraft eines Menschen in panischer Angst. Doch es war ihm gelungen, Miss Plenderleith, die ihren Koffer weiter grimmig an sich klammerte, an Land zu bekommen, und dann hatte er sich, als die Brandung das nächstemal zurückströmte, erneut ins Meer gestürzt, um Vannier dabei zu helfen, den Kapitän an Land zu tragen. Findhorn hatte Hilfe abgelehnt, er hatte immer wieder erklärt, daß er keine Hilfe brauchte, doch er war durch seine Verwundung und die Strapazen der vergangenen Woche so entkräftet, daß seine Beine ihm nicht mehr gehorchten und er dort, wo er lag, ertrunken wäre, in knapp einem Meter Wasser. Sie waren ausgerutscht, gestolpert, hingefallen und wieder hochgekommen, hatten ihn schließlich an Armen und Beinen an Land geschleppt und ihn dort, wohin die Wogen nicht mehr reichten, auf den Kies des Strandes gelegt.
Inzwischen war fast ein Dutzend der Überlebenden auf einem Haufen am Strand versammelt, teils sitzend, und einige stehend, undeutliche Umrisse in der Dunkelheit, nach Luft schnappend, stöhnend, oder würgend das geschluckte Seewasser ausspeiend. Nicolson, der selbst keuchte und nach Luft schnappte, machte sich daran, rasch durch Namensaufruf festzustellen, wer da war. Doch er kam nicht über den ersten Namen, den er aufrief, hinaus.
»Gudrun – Miss Drachmann!« Keine Antwort, nur das Keuchen und das würgende Erbrechen. »Miss Drachmann! Hat jemand Miss Drachmann gesehen? Wo ist Peter?« Wieder keine Antwort. »Herrgott noch mal, warum antwortet denn niemand! Hat jemand von Ihnen Peter gesehen? Den Kleinen? Hat jemand ihn
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