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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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gesehen?« Doch es war nichts zu hören als das dumpfe Brausen der Brandung und das Rasseln und Scharren des Kieses, den das zurückströmende Wasser den Strand hinunterspülte.
    Nicolson ließ sich auf die Knie fallen und tastete mit den Händen die Körper und Gesichter derjenigen ab, die auf dem Strand lagen. Kein Peter, keine Gudrun Drachmann. Er sprang auf, stieß taumelnd jemanden, der ihm im Weg stand, beiseite und stürzte sich wie ein Rasender ins Meer, watete nach draußen und wurde von der nächsten herankommenden Brandung umgeworfen. Er kam wie eine Katze wieder auf die Füße, jegliche Erschöpfung war von ihm abgefallen. Er registrierte vage, daß hinter ihm jemand ins Wasser plantschte, achtete aber nicht darauf.
    Er machte sechs weite, eilige, planschende Schritte, und dann schlug ihm irgend etwas mit grausamer, betäubender Gewalt hinten gegen die Kniekehlen – das Boot, das kieloben im Wasser trieb. Er machte einen Salto, schlug mit der Schulter gegen den Kiel und landete auf der anderen Seite flach auf dem Rücken im Wasser, mit einem Knall, daß ihm die Luft wegblieb, und machte sich von neuem auf den Weg, vorwärtsgetrieben von einer Angst, einer namenlosen Wut, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht verspürt hatte. Der Schmerz in seiner Brust und in seinen Beinen spannte mit jedem Schritt, den er machte, die Folter noch straffer, doch er trieb sich erbarmungslos an, als ob das Brennen in seinen Beinen und die keuchende Atemnot seiner Lungen einfach nicht existierten. Er machte noch zwei Schritte und stieß gegen irgend etwas Weiches, das nachgab, stieß es rücklings in den nächsten heranbrandenden Wasserschwall, bückte sich, bekam eine Hemdbluse zu fassen, richtete sich wieder auf und stemmte sich zusammen mit dem anderen gegen den Sog der See.
    »Gudrun!«
    »Jonny! Oh Jonny!« Sie klammerte sich an ihn, und er spürte, wie sie zitterte.
    »Peter! Wo ist Peter?« fragte er hastig.
    »Oh, Jonny!« Von ihrer kühlen Selbstbeherrschung war nichts mehr übrig, ihre Stimme klang fast wie ein Weinen. »Das Boot schlug um und – und –«
    »Wo ist Peter?« Er krallte die Finger in ihre Schultern und schüttelte sie, seine Stimme war wie ein Schrei.
    »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht! Ich – ich kann ihn nicht finden.« Sie löste sich von ihm und tauchte seitlich in das Wasser, das hüfthoch an ihnen vorbeistrudelte. Er ergriff sie, riß sie hoch und fuhr herum. Der Mann, der sich nach ihm in die Brandung gestürzt hatte, war Vannier gewesen. Er stand jetzt unmittelbar hinter ihm. Er schob das Mädchen mit einem Stoß zu ihm hin.
    »Bringen Sie sie an Land, Vannier.«
    »Nein, nein, ich gehe nicht!« Sie wehrte sich verzweifelt in Vanniers Armen, doch sie hatte nicht mehr viel Kraft, sich zu wehren. »Ich habe ihn verloren! Ich habe ihn verloren!«
    »Haben Sie mich verstanden, Vannier?« sagte Nicolson mit schneidender Schärfe und wandte sich nach draußen. Vannier murmelte in Richtung des sich entfernenden Rückens ein »Jawohl, Sir!« und fing an, das Mädchen, das halb von Sinnen war, durch die Brandung zum Strand zu schleppen.
    Wieder und wider sprang Nicolson in das weißschäumende Wasser und tastete mit den Händen verzweifelt den kiesbedeckten Meeresgrund ab; und jedesmal kam er mit leeren Händen wieder hoch. Einmal glaubte er schon, ihn gefunden zu haben, doch dann war es nur ein leerer Koffer. Er warf ihn wütend von sich, wie einer, der den Verstand verloren hat, und tauchte noch weiter hinaus in die Brandung, bis in die Nähe des Korallenriffs, das das Boot zum Sinken gebracht hatte. Das Wasser ging ihm hier fast bis an die Schultern, er wurde mit monotoner Regelmäßigkeit wieder und wieder umgerissen, schluckte eine Menge Wasser, hörte aber nicht auf, immer wieder schreiend den Namen des Jungen zu rufen, gleich einer sinnlosen Litanei, während er seinem erschöpften Körper unvorstellbare, unmenschliche Anstrengungen abverlangte, angetrieben von einer entsetzlichen Angst, einer schrecklichen Sorge, die ihn von Sinnen kommen ließ, einer Angst und einer Sorge, von der er nicht gewußt hatte, daß ein Mensch sie in seinem Herzen hegen könne. Seit das Boot umgeschlagen war, waren zwei Minuten vergangen, vielleicht auch drei, und bei all seiner Raserei war ihm klar, daß der Kleine in diesem Wasser unmöglich so lange am Leben geblieben sein konnte. Das sagte ihm der letzte Rest seines klaren Verstandes, den er noch hatte, doch er ignorierte es und tauchte von

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