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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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Raum das lastende Schweigen. Dann und wann wimmerte der Kleine in seinem unruhigen Schlaf, ein leiser, ängstlicher Ton, doch Gudrun wiegte ihn besänftigend in ihren Armen, bis er schließlich still lag. Yamata saß da und starrte nach unten auf die Steine, das schmale Gesicht mit der scharfen Nase düster und brütend. Auf einmal hatte er es offenbar gar nicht mehr eilig, fortzukommen. Die Blicke der Gefangenen ruhten auf van Effen, und der Ausdruck ihrer Gesichter reichte von erstauntem Begreifen bis zur völligen Unfähigkeit, das Gehörte zu glauben. Hinter ihnen standen die Posten, alles in allem zehn oder zwölf, wachsam, gespannt, und hielten ihre Waffen schußbereit in den Händen. Nicolson riskierte einen letzten schnellen Blick durch das beleuchtete Rechteck der Tür nach draußen und spürte, wie ihm der Atem stockte und seine Hände sich unwillkürlich zur Faust ballten: der Türrahmen und das beleuchtete Rechteck davor waren völlig leer. McKinnon war verschwunden. Nicolson ließ seinen angehaltenen Atem in einem langen, lautlosen Seufzer entweichen und wandte ohne Hast, unvorsichtig langsam, den Blick wieder nach vorn zu der Tribüne hin – um zu erkennen, daß van Effens Augen voll auf ihn gerichtet waren und ihn aufmerksam und nachdenklich musterten. Der Ausdruck dieser Augen war nicht nur nachdenklich – van Effen hatte offenbar begriffen, was geschehen war. Eben jetzt, während Nicolson ihn beobachtete, wandte van Effen den Blick, sah bedeutungsvoll durch die Tür nach draußen und dann wieder zu Nicolson hin. Nicolson, den es eiskalt durchzuckte, überlegte fieberhaft, ob er van Effen an der Gurgel packen konnte, ehe er etwas sagte. Doch damit wäre nichts besser geworden, das unausweichliche Ende würde nur etwas hinausgezögert. Nicolson machte sich nichts vor, er hatte keinerlei Chance, und selbst wenn er eine haben sollte, selbst wenn es ihm möglich sein sollte, sich und die anderen dadurch zu retten – er konnte van Effen nichts Böses antun. Van Effen hatte Peter das Leben gerettet. Van Effen hätte sich mit Leichtigkeit von der Muschel befreien können – er hätte Peter nur loszulassen brauchen, um sich beider Hände zu bedienen. Doch er hatte es statt dessen vorgezogen, mit dem Kind auf dem Arm stehenzubleiben und den Schmerz zu mißachten, während die scharfen Schalen der Muschel sein Bein übel zurichteten.
    Van Effen sah noch immer zu ihm her, und als jetzt auf seinem Gesicht ein leises Lächeln erschien, da wußte Nicolson, daß er anfangen würde zu sprechen, und daß es zu spät war, ihn daran zu hindern.
    »Großartig gemacht, Mister Nicolson, finden Sie nicht auch?«
    Nicolson sagte nichts. Hauptmann Yamata hob verwundert den Kopf und fragte: »Was war großartig gemacht, Oberstleutnant?«
    »Oh, die ganze Sache«, sagte van Effen mit einer lässigen Handbewegung. »Von Anfang bis Ende.« Er lächelte konziliant, und Nicolson fühlte, wie ihm das Herz im Halse schlug.
    »Ich verstehe nicht recht, wovon Sie eigentlich reden«, brummte Yamata. Dann stand er auf und sagte: »Es wird Zeit, daß wir aufbrechen. Ich höre den Lastwagen kommen.«
    »Gut, gut«, sagte van Effen und erhob sich gleichfalls, allerdings mühsam; sein Bein war durch den Biß der Muschel und die Schrapnellwunde im Oberschenkel steif und so gut wie unbrauchbar. »Sie fahren mit den Gefangenen zu Ihrem Kommandeur? Werden Sie sie ihm noch heute abend vorführen?«
    »Noch in dieser Stunde«, sagte Yamata. »Oberst Kiseki bewirtet heute abend in seiner Villa einflußreiche Häuptlinge hier aus der Gegend. Sein Sohn ist tot, doch die Pflicht betäubt den Kummer. Sie betäubt ihn, sagte ich, töten kann sie ihn nicht. Doch der Anblick dieser Gefangenen hier wird sein bekümmertes Herz erleichtern.«
    Nicolson spürte einen kalten Schauer. Auch ohne den geradezu sadistischen Unterton in Yamatas Stimme gab er sich keinen Illusionen darüber hin, was ihn erwartete. Einen Augenblick lang dachte er an all die Geschichten, die er über die Grausamkeit der Japaner in China gehört hatte, doch dann schob er diesen Gedanken resolut beiseite. Er wußte, seine einzige Chance war, an nichts zu denken und zu allem entschlossen zu sein. Er wußte auch, daß er sowieso keine Chance hatte. Selbst McKinnon da draußen war keine Chance, denn was konnte McKinnon schon anderes erreichen, als selbst umgebracht zu werden. Auf die Idee, der Bootsmann könne versuchen, sich auf eigene Faust aus dem Staub zu machen, kam Nicolson

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