Die Überlebenden der Kerry Dancer
Knabe, der leibhaftige Tuan Besar.«
Nicolson nickte. »Ich kann ihn direkt vor mir sehen, wie er im Bengal-Club in einem Sessel hockt, vollgefressen bis oben hin und schnarchend, daß das Doppelkinn zittert. Aber er ist ein komischer Vogel. Machte im Rettungsboot seine Sache mit der Belegleine sehr ordentlich. Wie viel von dem, was er erzählt, halten Sie für Angabe?«
»Nicht sehr viel.« Findhorn dachte einen Augenblick nach. »Ein bißchen, aber nicht viel. Ein pensionierter Offizier der Army ist er auf alle Fälle. Hat sich vermutlich nach seiner Pensionierung einen etwas höheren Rang zugelegt.«
»Und was zum Teufel hat so ein Mann an Bord der Kerry Dancer zu suchen?« fragte Nicolson.
»In diesen Zeiten werden alle möglichen Leute mit seltsamen Schlafgenossen zusammengewürfelt«, erwiderte Findhorn. »Und was den Bengal-Club angeht, da sind Sie im Irrtum, Jonny. Er kommt nicht von Singapur. Er ist irgendein Kaufmann in Borneo – über die Art seiner Geschäfte äußerte er sich ein bißchen unbestimmt –, und an Bord der Kerry Dancer ist er in Banjarmasin gegangen, zusammen mit einigen anderen Europäern, die fanden, daß der Boden dort für sie etwas zu heiß geworden war. Die Kerry Dancer sollte ursprünglich nach Bali gehen, und sie hatten gehofft, dort ein anderes Schiff zu finden, mit dem sie nach Darwin kommen könnten. Offenbar bekam jedoch Siran – so heißt der Kapitän, der nach allem, was Farnholme berichtete, ein ziemlich übler Gauner sein muß – von seinen Auftraggebern in Macassar per Funk Anweisung, nach Kota Bharu zu gehen. Farnholme schmierte ihn, um ihn zu bewegen, Singapur anzulaufen, und Siran war einverstanden. Warum er dorthin wollte, wo die Japaner sozusagen schon an der Haustür waren, das mag der Himmel wissen. Aber wenn man skrupellos genug ist, dann gibt es immer eine Möglichkeit, eine Situation auszunutzen, wie sie gerade in diesem Augenblick dort herrsche. Oder vielleicht hatten sie auch gehofft, in kurzer Zeit ein Vermögen zu machen, indem sie zu unverschämt hohen Preisen Passagen aus Singapur heraus verkauften. Mit dem, was dann tatsächlich passierte, hatten sie ganz offenbar nicht gerechnet: daß die Kerry Dancer von der Army requiriert wurde.«
»Richtig, die Army«, sagte Nicolson leise. »Möchte wissen, was aus den Soldaten geworden ist, die an Bord der Kerry Dancer waren, um dafür zu sorgen, daß der Kapitän keine krummen Touren ritt, sondern wirklich nach Darwin ging. McKinnon sagt, es seien mindestens zwei Dutzend gewesen.«
»Ja, das frage ich mich auch.« Findhorn preßte die Lippen zusammen. »Farnholme sagt, sie seien im vorderen Logis untergebracht gewesen.«
»Vielleicht auch mit einem von diesen cleveren Schotts, die man nur von einer Seite aufmachen kann?«
»Vielleicht. Haben Sie das Logis gesehen?«
Nicolson schüttelte den Kopf. »Als wir an Bord kamen, war das ganze vordere Logis praktisch bereits unter Wasser. Aber es sollte mich nicht wundern. Es wäre natürlich auch möglich, daß das Schott durch eine explodierende Bombe verklemmt war.« Er nahm noch einen Schluck von dem Whisky und verzog das Gesicht, nicht angewidert von dem, was er trank, sondern von dem, woran er dachte. »Eine reizende Alternative, zu ersaufen oder zu verbrennen. Ich würde diesem Kapitän Siran gern eines Tages begegnen. Vermutlich möchten ziemlich viele andere Leute das auch … Und wie geht es unseren übrigen Passagieren? Hatten sie zu Farnholmes Bericht noch etwas hinzuzufügen?«
Findhorn schüttelte den Kopf. »Nein, nichts. Sie waren zu krank, zu müde, zu sehr durcheinander – oder aber sie wissen einfach nichts.«
»Ich nehme an, sie sind alle versorgt, gewaschen und in die Kojen geschickt?«
»Ja, mehr oder weniger. Ich habe sie über das ganze Schiff verteilt. Die Soldaten sind alle zusammen, achtern – die beiden Schwerkranken im Hospital, die anderen acht im Rauchsalon und in den beiden unbenutzten Ingenieurskabinen an Backbordseite. Farnholme und der Priester sind im Dienstraum der Ingenieure untergebracht.«
»Das muß wirklich ein sehenswerter Anblick sein«, sagte Nicolson grinsend. »Der britische Radscha auf so engem Raum zusammen mit dem verruchten Heiden!«
»Sie würden staunen«, brummte Findhorn. »Sie haben jeder ein Sofa, zwischen sich einen Tisch, und auf dem Tisch eine Flasche Whisky, noch fast voll. Wirklich, sie kommen sehr gut miteinander aus.«
»Als ich ihn das letztemal sah, hatte er eine halbvolle Flasche«,
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