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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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wollte sie denn?«
    »Den Kapitän sprechen.« Vannier schüttelte verständnislos den Kopf. »Junger Mann, sagte sie, ich muß den Kapitän sprechen – sofort. Sagen Sie ihm, er möchte herkommen. Und dann schob sie mich aus der Tür. Was soll ich denn jetzt machen, Sir?«
    »Genau das, worum sie Sie gebeten hat, was denn sonst.« Nicolson grinste. »Ich möchte dabeisein, wenn Sie es ihm sagen. Er ist unten in der Messe.«
    Sie gingen nach unten und betraten gemeinsam die Messe. Es war ein großer Raum, in dem zwei lange Tische standen, mit Platz für zwanzig Personen. Doch in diesem Augenblick war die Messe fast leer, es waren nur drei Personen darin, und alle drei standen.
    Der Kapitän und der Zweite Ingenieur standen nebeneinander, mit dem Gesicht nach achtern, und balancierten locker die Bewegungen des schlingernden Schiffes aus. Findhorn, wie immer korrekt in blütenweißer Uniform, lächelte. Das tat auch Willoughby: doch damit war jegliche Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Männern am Ende. Willoughby – hochgewachsen, gebeugt, mit braunem, faltigem Gesicht und einer dichten, ungekämmten grauen Mähne – war der Alptraum eines Schneiders. Er trug ein weißes Hemd – oder vielmehr etwas, das ursprünglich einmal ein weißes Hemd gewesen war –, ungeplättet, ohne Knöpfe und am Kragen und den kurzen Ärmeln ausgefranst, dazu ein paar khakifarbene Leinenhosen, faltig wie die Beine eines Elefanten und viel zu kurz für ihn, Socken mit Schottenmuster und Leinenschuhe, die nicht zugeschnürt waren. Er hatte sich vermutlich seit einer Woche nicht rasiert.
    Das Mädchen stand ihnen gegenüber, halb gegen die Anrichte gelehnt, an deren Kante sie sich mit den Händen festhielt. Nicolson und Vannier konnten, als sie hereinkamen, nur ihr Profil sehen, doch sie sahen, daß auch sie lächelte – ihr rechter Mundwinkel ging nach oben, und in ihrer Wange zeichnete sich ein Grübchen ab. Sie hatte eine gerade, sehr fein geformte Nase, eine hohe, glatte Stirn und langes, seidiges Haar, das in einer tiefen Nackenrolle endete, schwarzes Haar – von jenem intensiven Schwarz, das in der Sonne blaue Lichter hat und wie die Schwinge eines Raben glänzt. Mit diesem Haar, ihrem Teint und den sehr hohen Backenknochen war sie eine typisch eurasische Schönheit; doch nach einem längeren, aufmerksamen Blick – und es gab wohl keinen Mann, der Miss Drachmann nicht mit einem längeren, aufmerksamen Blick bedachte – war sie weder typisch noch eurasisch; dazu war das Gesicht nicht breit genug, seine Züge zu delikat, und diese unglaubwürdigen Augen deuteten einwandfrei auf den hohen Norden Europas. Sie waren genauso, wie Nicolson sie das erste Mal gesehen hatte, an Bord der Kerry Dancer, im grellen Schein seiner Taschenlampe – ein intensives, verblüffendes Blau, sehr klar, sehr auffällig, und sie saßen außerordentlich eindrucksvoll in einem sehr bemerkenswerten Gesicht. Und eben jetzt waren diese Augen umgeben von den schwachen, blauen Schatten der Erschöpfung.
    Sie hatte sich ihrer Haube und der Buschjacke mit Koppel entledigt, stellte Nicolson fest. Sie trug nur ihren fleckigen Khakirock und ein sauberes, weißes Hemd, mehrere Nummern zu groß für sie, dessen Ärmel sie hochgerollt hatte. Bestimmt ein Hemd von Vannier, dachte Nicolson. Vannier hatte auf der Rückfahrt zum Rettungsboot die ganze Zeit neben ihr gesessen, mit leiser Stimme auf sie eingeredet und sich sehr besorgt um sie gezeigt. Nicolson mußte heimlich lächeln; er versuchte, sich an die Zeit zurückzuerinnern, als er selbst auch noch so ein leicht entflammter, junger Raleigh gewesen war, der stets einen Mantel bei der Hand hatte, um Lady Godivas Blöße zu bedecken, ein fahrender Ritter, bereit, jede edle Dame aus Gefahr zu erretten. Doch er konnte sich an diese Zeit nicht erinnern – vermutlich hatte es sie nie gegeben.
    Nicolson schob Vannier vor sich her in die Messe – er war neugierig, wie Findhorn auf das Verlangen von Miss Plenderleith reagieren würde – und machte die Tür leise hinter sich zu. Dann wandte er sich um und konnte gerade noch rechtzeitig bremsen, um nicht gegen Vannier zu rennen, der plötzlich haltgemacht hatte und jetzt unbeweglich und starr dastand, keine zwei Meter von der Tür entfernt.
    Die drei im Raum waren verstummt und hatten zur Tür gesehen, als Vannier und Nicolson hereingekommen waren. Vannier hatte keine Augen für Findhorn und Willoughby – er starrte zu der Schwester hin mit vor Schreck

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