Die Überlebenden der Kerry Dancer
geöffneten Lippen. Als Miss Drachmann den Kopf herumgedreht hatte, war das Lampenlicht auf die linke Seite ihres Gesichtes gefallen, und diese Seite ihres Gesichtes sah nicht schön aus. Eine tiefe, rissige Narbe, kaum verheilt, noch bläulich und wulstig verwachsen an den Stellen, wo sie notdürftig und ungeschickt genäht worden war, lief quer über das ganze Gesicht, oben vom Haaransatz über der Schläfe bis hinunter zu dem weichen, runden Kinn. Kurz oberhalb des Backenknochens war sie über einen Zentimeter breit, eine Narbe, die in jedem Gesicht scheußlich ausgesehen hätte; doch in der Lieblichkeit dieses Gesichts wirkte sie wie eine übertriebene Karikatur, war sie schockierend und beleidigend wie eine Blasphemie.
Sie sah Vannier einige Sekunden lang schweigend an, dann lächelte sie. Es war nur der schwache Versuch eines Lächelns, doch er genügte, um auf der einen Wange ein Grübchen hervorzurufen, und um die Narbe auf der anderen Wange, am Mundwinkel und neben dem Auge, weiß werden zu lassen. Sie legte die linke Hand an die Narbe.
»Ich fürchte, es sieht nicht sehr hübsch aus, nicht wahr?« Im Ton ihrer Frage lag keinerlei Vorwurf, es klang eher, als bäte sie um Entschuldigung. Ihre Stimme hatte einen seltsamen Beiklang, wie von Mitleid, doch es war nicht Mitleid mit sich selbst.
Vannier sagte nichts. Sein Gesicht war um einen Schatten blasser geworden, doch bei ihrer Frage war das Blut zurückgeströmt und begann Hals und Gesicht zu röten. Er sah beiseite – man konnte geradezu bemerken, welche physische Anstrengung es ihn kostete, seine Augen von dieser gräßlichen Narbe abzuwenden – und öffnete den Mund zum Sprechen. Doch er sagte nichts; vielleicht gab es aber auch nichts, was Vannier hätte sagen können.
Nicolson ging rasch an ihm vorbei, nickte Willoughby zu und blieb vor dem Mädchen stehen. Kapitän Findhorn beobachtete ihn aufmerksam; doch Nicolson bemerkte es nicht.
»Guten Abend, Miss Drachmann.« Seine Stimme klang kühl, aber freundlich. »Sind alle Ihre Patienten gut untergebracht?«
»Ja, danke, Sir.«
»Nennen Sie mich nicht ›Sir‹«, sagte er ein wenig gereizt. »Das habe ich Ihnen doch schon einmal gesagt.« Er hob die Hand und faßte vorsichtig an die Wange mit der Narbe. Sie zuckte nicht zurück, sie rührte sich überhaupt nicht, abgesehen davon, daß sich die blauen Augen in ihrem ausdruckslosen Gesicht für einen kurzen Augenblick weiteten. »Unsere kleinen gelben Freunde, nehme ich an?« Seine Stimme war so sanft wie seine Hand.
»Ja«, sagte sie und nickte. »Ich fiel ihnen in der Nähe von Kota Bharu in die Hände.«
»Ein Bajonett?«
»Ja.«
»Eins von diesen schartig gemachten Bajonetten für festliche Gelegenheiten, nicht wahr?« Er besah sich die Narbe aus der Nähe, sah den schmalen, tiefen Einstich am Kinn und den breiten Riß unterhalb der Schläfe. »Und Sie lagen dabei am Boden?«
»Sie sind sehr klug«, sagte sie langsam.
»Und wie sind Sie davongekommen?« fragte Nicolson neugierig.
»Ein großer Mann kam herein – in das Zimmer des Bungalows, den wir als Feldlazarett benutzten. Ein sehr großer Mann mit roten Haaren. Er sagte, er sei von einem Hochland-Regiment, Argyllshire oder so ähnlich. Er entriß dem Mann, der nach mir gestochen hatte, das Bajonett. Dann sagte er, ich sollte wegsehen, und als ich mich wieder umdrehte, lag der japanische Soldat tot am Boden.«
»Hurra für Argyllshire«, brummte Nicolson. »Und wer hat Sie genäht?«
»Derselbe Mann – er meinte, er sei nicht sehr geschickt.«
»Man hätte es besser machen können«, gab Nicolson zu. »Das kann man übrigens noch immer.«
»Es ist scheußlich!« Ihre Stimme schnellte bei dem letzten Wort in die Höhe. »Ich weiß, daß es scheußlich ist.« Sie sah sekundenlang zu Boden, dann hob sie den Blick wieder zu Nicolson und versuchte zu lächeln. Es war kein sehr glückliches Lächeln. »Es ist nicht unbedingt eine Verschönerung, nicht wahr?«
»Das kommt ganz darauf an.« Nicolson deutete mit dem Daumen auf den Zweiten Ingenieur. »Bei Willy hier würde es gut aussehen – er ist ohnehin ein alter Sauertopf. Doch Sie sind eine Frau.« Er machte eine Pause, sah sie nachdenklich an und fuhr dann bedächtig fort: »Ich glaube, Sie sind mehr als nur gut aussehend, Miss Drachmann – Sie sind schön, und bei Ihnen sieht es – entschuldigen Sie den Ausdruck – verdammt übel aus. Sie müssen nach England«, sagte er zum Schluß unvermittelt.
»Nach England?«
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