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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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auf See, um fortzukommen von der Untiefe, doch schon im nächsten Augenblick erkannte er an der Größe und Lage der undeutlichen Silhouette, daß sie sich überhaupt nicht bewegt hatte. Das Schiff lag unverändert, die Scheinwerfer brannten genau wie zuvor – aber ihre Lichtkegel schienen schwächer geworden zu sein, aufgeschluckt von der Schwärze der See. Und noch etwas anderes sah er – das Meer war wirklich schwarz, eine dunkle Fläche, ohne das kleinste weiße Fleckchen, ohne eine einzige Schaumkrone eines Brechers –, und dann ging es ihm plötzlich auf: Öl!
    Es war kein Zweifel möglich – das Meer zwischen den beiden Schiffen war in weitem Umkreis von einer dicken Ölschicht bedeckt. Die Viroma mußte ungefähr die letzten fünf Minuten lang Öl über Bord gepumpt haben – viele hundert Liter, genug, um auch dem wildesten Sturm die Zähne zu ziehen. Kapitän Findhorn hatte offenbar gesehen, daß die Kerry Dancer mit dem Bug in die See drehte, und mußte sich sofort gesagt haben, daß für das Rettungsboot die Gefahr bestand, durch überkommende Brecher vollzuschlagen und abzusaufen. Nicolson lächelte vor sich hin, nicht gerade sehr glücklich, und drehte sich wieder um. Das Öl bedeutete zwar für das Rettungsboot eine fast hundertprozentige Sicherheitsgarantie, zugegeben, trotzdem war er nicht allzusehr entzückt von der Aussicht, das schmierige Öl in die Augen und Ohren, in Nase und Mund zu bekommen und von oben bis unten einzudrecken, wenn er in wenigen Sekunden über Bord sprang – zusammen mit dem Soldaten Alex.
    Nicolson ging ruhig und locker quer über das Hüttendeck auf die Heckreling zu. Dort stand der Soldat, mit dem Rücken an der Reling, in einer unnatürlich steifen Haltung, die Hände rechts und links um die Streben geklammert. Nicolson ging dicht an ihn heran, sah den starren Blick der aufgerissenen Augen, das Zittern eines Körpers, der allzulange krampfhaft angespannt gewesen war; ein Sprung in das Wasser zusammen mit diesem Knaben Alex, dachte Nicolson trocken, war mehr oder weniger eine Aufforderung zum Selbstmord, sei es, daß man dabei ertrank oder erwürgt wurde. Nicolson seufzte, warf einen Blick über die Reling und leuchtete mit der Taschenlampe nach unten: McKinnon lag mit dem Boot genau an der von ihm angegebenen Stelle, in Lee unter dem Heck, keine fünf Meter von ihm entfernt.
    Die Taschenlampe ging wieder aus, und Nicolson trat ruhig, ohne jede Hast, von der Reling zurück und stand vor dem jungen Soldaten. Alex hatte sich nicht von der Stelle bewegt, sein Atem ging kurz und keuchend. Nicolson nahm die Taschenlampe in die linke Hand, richtete sie auf sein Ziel, drückte auf den Knopf, erhaschte einen kurzen Blick auf ein weißes, verzerrtes Gesicht, mit blutleeren Lippen, entblößten Zähnen und starr blickenden Augen, die sich zusammenzogen, als der Lichtschein sie traf, und versetzte ihm dann einen genau gezielten, sehr harten Schlag an die Ecke der Kinnlade. Noch ehe er anfing zu kippen, hatte er den Jungen gefaßt, hob ihn hoch, stieg selbst über die Reling und stand eine Sekunde lang da, hell angestrahlt vom Schein einer Taschenlampe, die erst in diesem Augenblick im Boot angemacht wurde, dann faßte er den jungen Soldaten um die Taille und sprang. Sie schlugen anderthalb Meter neben dem Boot auf das Wasser auf, verschwanden fast geräuschlos unter der öligen Oberfläche der See, tauchten wieder auf, wurden sofort gefaßt und ins Boot gezogen – Nicolson fluchend und hustend, während er versuchte, das Öl aus den verklebten Augen, aus Nase und Ohren zu bekommen; der junge Soldat lag regungslos auf der Bank an Steuerbordseite, und Vannier und Miss Drachmann säuberten ihn mit Streifen, die von Vanniers Hemd abgerissen waren.
    Die Fahrt zurück zur Viroma war nicht gefährlich, nur reichlich übel, und fast alle Passagiere waren so seekrank und so schwach, daß sie, als man schließlich bei dem Tanker angelangt war, Hilfe zum Aussteigen brauchten.
    Keine fünfzehn Minuten, nachdem er mit dem Knaben Alex ins Wasser gesprungen war, hatte Nicolson das Rettungsboot wieder sicher in den Davits. Dann drehte er sich um, um einen letzten Blick auf die Kerry Dancer zu werfen: doch sie war nirgends mehr zu entdecken, sie war verschwunden, als hätte es sie niemals gegeben; sie war vollgelaufen, von dem Riff heruntergeglitten und auf Grund gesunken. Einen Augenblick lang stand Nicolson und starrte hinaus auf das dunkle Meer, dann ging er zur Leiter und stieg hinauf

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