Die Ueberlebenden von Mogadischu
[zur »Strafe«, weil er Informationen über die Entführer nach außen gegeben hatte; Anm. d. Verf.]. Und da habe ich mich noch eine Zeitlang mit ihm unterhalten. Er wollte erst nicht essen, nein, sagte er, er habe keinen Hunger, er wolle nichts essen. Wir bekamen dort ein kleines Paket mit kaltem Hühnerfleisch und ein Stückchen Schwarzbrot und eine Apfelsine. Nein, sagte er, er möchte nicht. Die Stewardess ist dann mit dem kleinen Päckchen zurückgekommen und sagte, wie sie sich ausdrückte: »Der Schizophrene hat gesagt, Sie sollen essen.« Da sagte ich zu ihm: »Sehen Sie« – wir mussten uns natürlich ein bisschen ducken, damit man von vorne nicht sah, dass wir uns unterhielten –, »es ist doch ganz gut, essen Sie etwas! Wir alle wissen nicht, was noch mit uns geschieht!«
Da sagte ich zu ihm: »Schauen Sie mal, jetzt hat er Ihre Mütze aufgesetzt.« Und er sagt: »Wenn ich nach Hause komm’, kauf’ ich mir gleich ’ne neue.« Und dann antwortete ich: »Und diese Mütze hier werden Sie so richtig mit Genuss verbrennen.« »Ja, ja«, meinte er. Und dann fiel mir ein, dass ein Klassenkamerad meines jüngeren Sohnes Flugkapitän ist, und da habe ich gedacht, um ihn ein bisschen abzulenken, habe ich ihn gefragt: »Kennen Sie den?« »Ja«, sagt er, »der trägt jetzt einen Vollbart.« »Oh«, sage ich, »so kenn’ ich ihn gar nicht, aber vielleicht sehen Sie ihn eher als ich, denn Sie kommen ja immer nach Frankfurt. Und dann werden Sie sagen, dass Sie hier zusammen mit mir gesessen haben, und bestellen schöne Grüße von mir.« »Ja«, sagt er, »das werde ich machen.« Und so hatte ich ihn ein bisschen abgelenkt. Gleich danach hat er dann auch ein bisschen Hühnerfleisch gegessen, und er hat noch gesagt: »Ach, tut richtig gut!« Dann machte ich die Anregung und sagte: »Wenn Sie jetzt Salz in Ihrem Päckchen haben, bewahren 248 Sie es auf und tun es in das nächste Wasser. Durch diese Hitze ist der Körper geradezu ausgelaugt.« Und da sagte noch ein Junge: »Ihnen geht’s wohl nicht gut, wieso nehmen Sie Salz, wir haben doch so schon einen großen Durst.« Ich sagte: »Aber der Körper braucht Salz«, und »Tut dieses Salz in das Wasser.« Und da sagte der Kapitän: »Ja, das ist richtig.« Ich sagte: »Bewahren Sie es auf und tun Sie es ins Wasser, das macht enorm viel aus.« Und das hat er auch gemacht und hat noch die Orange gegessen und war gerade fertig damit, als er aufgerufen wurde und nach vorn kommen musste, und da hieß es, wir fliegen jetzt weiter. Das war in Dubai, kurz vor dem Weiterflug nach Aden.
249 Die Legende um Kapitän Schumann
Die Befreiungsaktion von Mogadischu ist ein deutsches Heldenepos. Männer der Spezialeinheit »Grenzschutzgruppe 9 « befreien am 18. Oktober 1977 82 Passagiere und vier Besatzungsmitglieder nach 106 Stunden aus der Hand ihrer Entführer. Die Bundesrepublik Deutschland bewältigt die bisher größte terroristische Herausforderung in ihrer Geschichte mit Erfolg. Die Frauen und Männer im politischen Bonn reagieren auf die gute Nachricht mit angemessener Zurückhaltung, denn die Entführung hat mit Jürgen Schumann ein Todesopfer gefordert, und die Hoffnung, Hanns Martin Schleyer jetzt noch lebend wiederzusehen, ist denkbar klein.
Die Deutschen dagegen feiern den Ausgang der Befreiungsaktion als nationalen Sieg. Sie haben ihn nicht nur für das eigene Land, sondern für alle Staaten der demokratischen Welt errungen. Deutsche Präzisionsarbeit versetzte dem nationalen und internationalen Terrorismus einen schweren Schlag. Der Selbstmord dreier Terroristen in ihren Gefängniszellen wird vom Gros der Bevölkerung weniger mit Entsetzen als mit Genugtuung aufgenommen.
»Mogadischu« heilt ein nationales Trauma – die Deutschen sind in diesem Oktober mürbe von den immer neuen RAF -Morden des ausgehenden Jahres, dieser schrecklichen Kette organisierter Gewalt. Zuletzt hat sie kein anderes Thema so beschäftigt und bedrückt wie die Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Frauen und Männer in der Lufthansa-Maschine »Landshut«.
Die Politik trägt für diese nationale Rezeption von »Mogadischu« eine Mitverantwortung, sahen sich doch ihre Entscheider wie schon beschrieben selbst in einen Krieg hineingezogen. Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Kollegen versteinerten während des Terrorjahres 1977 zu einer soldatischen Härte, die sie erstmals als Teilnehmer des Zweiten Weltkriegs praktiziert hatten.
»Ein weitverbreitetes Bedürfnis nach
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