Die Ueberlebenden von Mogadischu
Wunde. Ein Buch über die Nachgeschichte von »Mogadischu« kann die Geschichte dieses Rätsels nicht aussparen.
Schon das erste Gespräch, das der gerade befreite Jürgen Vietor und Hans-Jürgen Wischnewski in der Flughafenhalle von Mogadischu führen, dreht sich um den toten Kapitän. Wie ist die Erschießung vonstattengegangen? Trägt Jürgen Schumann Mitverantwortung an seinem Tod, und wenn ja, welche?
Nach der Notlandung in Aden bittet Jürgen Schumann, die Maschine inspizieren zu dürfen. Mahmud stimmt zu. Schumann steigt aus der Maschine und geht um das Fahrwerk herum. Jürgen Vietor hört seinen Ruf, dass auf einer Seite alles in Ordnung sei. Danach ist Jürgen Schumann weg. Keine der Geiseln in der »Landshut« erinnert sich genau daran, wie lange, das Zeitgefühl lässt sie nach mehreren Tagen Entführung im Stich. Mahmud wird wütend. Er lässt Jürgen Vietor nach Jürgen Schumann rufen. »Jürgen, komm zurück.« Jürgen Schumann kommt nicht zurück. Mahmud fühlt sich von Jürgen Schumann hintergangen, nun schon das zweite Mal. In Dubai wurde ihm von einem Mitarbeiter des Flughafens, der als Caterer an die Maschine heranfuhr (und somit direkten Sprechkontakt mit Mahmud hatte) »gesteckt«, dass Jürgen Schumann Hinweise auf die Zahl der Entführer und ihre Waffen gegeben hatte (bei Funksprüchen, bei der Bestellung von Zeitungen und mit Zigarren im Müll). Mahmud war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Äußersten entschlossen, es reichte ihm, Jürgen Schumann zu demütigen, indem er ihn Kehrtwendungen im Gang der Maschine machen ließ. Und er warnte ihn vor weiteren Eigenmächtigkeiten.
253 Als Jürgen Schumann noch immer nicht zurückkommt, stellt ihn Mahmud den Geiseln gegenüber als Verräter dar. »Jürgen Schumann ist verschwunden, abgehauen, hat euch im Stich gelassen.« Er fühlt sich zum zweiten Mal in seiner Autorität missachtet, hatte er doch zu Beginn der Entführung erklärt: »Die Maschine steht unter meinem Kommando!« Er kündigt den Geiseln die Ermordung von Jürgen Schumann an, sobald dieser in die Maschine zurückkehren wird.
Als Jürgen Schumann zurückkommt, ist er nicht allein, er wird von Polizisten oder Soldaten begleitet. Das macht den Eindruck, als hätten ihn diese Polizisten oder Soldaten gegen seinen Willen zurückgebracht. Jürgen Schumann betritt die Maschine und geht auf den zornigen Mahmud zu. Mahmud verlangt von ihm niederzuknien. Er fragt Jürgen Schumann: »Schuldig oder nicht schuldig?« Als Jürgen Schumann zu einer Erklärung ansetzen will, schießt Mahmud ihm in den Kopf.
Niemand weiß, was genau zwischen dem letzten Ruf von Jürgen Schumann an Jürgen Vietor und der Rückkehr von Jürgen Schumann in Begleitung von Sicherheitskräften passiert ist. Hat er sich tatsächlich vom Flugzeug – und damit aus dem Machtbereich des Entführers Mahmud – entfernt? Er hat Sicherheitsleute getroffen – oder sie ihn. Suchte er selbst das Gespräch mit ihnen, oder wurde er dazu aufgefordert? Gab es ein Gespräch am Flugzeug oder an einem vom Flugzeug entfernten Ort? Ging Jürgen Schumann selbst weg oder wurde er gewaltsam weggebracht?
In Deutschland wird am frühen Morgen des 17. Oktober 1977 zunächst nur bekannt, dass es in der Maschine einen Toten gibt. Hedwig Rath denkt, dass ihr Mann an seiner Diabetes gestorben ist. Monika Schumann sagt einmal zu einer Journalistin, sie habe gedacht, dass Jürgen Vietor der Tote sei, die Entführer würden doch nicht den Kapitän erschießen, der müsse schließlich das Flugzeug fliegen. Am Vormittag des Montags ist die Identität der Leiche, die morgens in Mogadischu über eine Rutsche herabgelassen wurde, geklärt.
254 Auch die Deutsche Lufthansa weiß in diesem Augenblick nur, dass ihr Mitarbeiter Jürgen Schumann erschossen worden ist. Sie muss sich aber zu der neuen Entwicklung im Entführungsfall irgendwie verhalten. »Jürgen Schumann hat versucht, den Start der Maschine in Aden zu verhindern«, gibt jetzt nicht mehr Pressesprecher Werner Kaulich, sondern Flugkapitän Werner Utter als Leiter des Lufthansa-Krisenstabes in heute und Tagesschau zu Protokoll. Er macht sich damit die Darstellung eines Korrespondenten der irakischen Nachrichtenagentur in Aden zu eigen, der berichtet hatte, dass der Flugkapitän wegen eines Fahrgestellschadens den Start in Richtung Mogadischu verweigert habe. Dem Iraker zufolge kam es wegen der Weigerung von Jürgen Schumann zu einem Streit mit den Entführern, in dessen Verlauf der
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