Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
Vom Netzwerk:
einfachen Feindbildern, Ergebnis der deprimierenden Anspannung in den Wochen der Schleyer-Entführung, fand in den Ereignissen um Mogadischu ein 250 Ventil«, meint die Journalistin Rosvita Krausz schon kurz nach dem Ereignis.
    Politik und Öffentlichkeit feiern den Ausgang der Befreiungsaktion als militärischen Sieg. Die GSG 9 brauchte nicht mehr als sieben Minuten, um den Geiseln den Weg in die Freiheit zu bahnen. Sie gab den Familien der Geiseln die schon verloren geglaubten Angehörigen zurück.
    Der Umstand, dass es im Verlauf der Entführung einen Toten gegeben hat, mindert das Gefühl des Sieges nicht, sondern steigert es. Die Ermordung von Jürgen Schumann lässt auf die Brutalität der Entführer schließen, denen nur mit Gewalt beizukommen war.
    Die Medien tun ihr Übriges, um »Mogadischu« zum nationalen Heldenepos zu erklären. Die meisten Darstellungen sind geradezu blutrünstig.
    Die frühere Geisel Jutta Knauff bewahrt bis heute ein Exemplar der Stern -Ausgabe mit dem toten Mahmud auf der Titelseite auf. »Nackt, zu Tode gedemütigt, liegt der gefährliche Mann auf dem Boden, ein bisschen Sand ist auf der Brust, die leeren Augen können nichts mehr zurückgeben – so sieht die Siegestrophäe einer erschütterten, ängstlichen Massenseele aus, made in Germany. Hier, nicht etwa in der heiter gelösten, stolzen Pressekonferenz des Regierungssprechers, findet die Rache des kleinen und großen Mannes endlich ein befriedigendes Objekt«, meint Tatjana Botzat in ihrem 1978 veröffentlichten Buch Ein deutscher Herbst . »Es ist schrankenlose Wiedergutmachung von gekränktem Stolz, scheinbare Befreiung von Ohnmacht, Niederwerfen der Angst.«
    Das Foto erhält auch einen prominenten Platz im Stern -Jahrbuch 1977  – eine Doppelseite in Farbe. Der Stern stilisiert es somit zu einem der Bilder des Jahres.
    Im Triumph des Sieges werden eklatante Fehler bei der Befreiungsaktion nicht nur ignoriert, sondern zu Heldentaten stilisiert. So hatten die GSG - 9 -Leute nicht genug Schusswesten. Kommandeur Ulrich Wegener überließ einem Kollegen eine Weste und ging selbst ohne Schutz in die Maschine.
      251 Aus einem späteren Hörfunkporträt des Südwestfunks über Ulrich Wegener:
    Und Sie haben, glaube ich, auf indirekte Art und Weise einem Ihrer Männer das Leben gerettet, weil Sie dem kurz vor dem Einsatz Ihre Schutzweste gegeben haben ?
    Ulrich Wegener: Ja, das ist richtig. Das heißt, ich habe die ihm nicht gegeben, sondern ich habe meine Weste weitergegeben, nicht? Dass er sie gekriegt hat, das war reiner Zufall.
    Reporter: Und Sie sind ohne Weste rein ?
    Ulrich Wegener: Ich bin ohne Weste rein, ja. Wir hatten nicht genügend Westen gehabt.
    Was Ulrich Wegener in diesem Interview nicht sagt: Der Kollege, dem er die Weste überlassen hatte, wurde von einer Kugel getroffen. Die Kugel durchdrang 14 der insgesamt 16 Stofflagen, aus denen die Weste genäht war.
    Die Grenzschutzgruppe 9 ist hinterher selbstkritisch genug, die gemachten Fehler in einem Bericht zusammenzufassen. Darin heißt es unter anderem, der Einsatzplan sei erst am Ort erdacht, die Einsatzkräfte nicht genügend darauf vorbereitet worden. Der Schusswechsel mit den Terroristen habe zu lange gedauert.
    Das beschäftigt Medien und Öffentlichkeit aber nicht weiter. Der Mythos von der präzisen Eingreiftruppe ist längst geboren und tut seine Wirkung.
    Die Ermordung von Kapitän Schumann fördert den Mythos »Mogadischu«, zugleich hinterlassen deren ungeklärte Umstände ein schales Gefühl. Die Vorgeschichte seiner Ermordung durch Mahmud liegt im Dunkeln. Und es ist gerade dieses Faktum, das im Leben von Monika Schumann lange eine wichtige Rolle gespielt hat und in dem von Jürgen Vietor bis heute spielt.
    Es handelt sich um das letzte und zugleich um ein wichtiges Geheimnis in dem sonst vielfach erzählten Drama. Auch wenn dieses 35 Jahre zurückliegt, bleibt es gerade als ungeklärtes gegenwärtig, denn als offene Frage beschäftigt es die Betroffenen noch immer. Die Betroffenen – die Familie des toten Kapitäns, Jürgen 252 Vietor, die weiteren Geiseln – haben im Lauf der Jahrzehnte jeweils zu ihrer Sicht der Dinge gefunden. Keine dieser Sichtweisen kann sich ganz auf journalistisch oder gar wissenschaftlich erhärtete Fakten berufen; zugleich wird jede dieser Sichtweisen von der jeweils eigenen Rolle und dem eigenen Empfinden in dem Drama geprägt. Das Rätsel um die Ermordung von Jürgen Schumann ist eine offene, immer wieder blutende

Weitere Kostenlose Bücher