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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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die Trennlinie zwischen Osten und Westen, die mitten durch Europa ging. Der Kalte Krieg zwischen den Supermächten Sowjetunion und USA hatte – anders als in den sechziger Jahren – nichts unmittelbar Bedrohliches mehr, die beiden Staaten hatten die Grenzen ihres jeweiligen Machtbereichs abgesteckt. Die Deutsche Frage, die Teilung der Nation in zwei Staaten, blieb darüber ungeklärt (man sagte »offen«), aber die westdeutsche Bevölkerung hatte sich an diesen Zustand gewöhnt. Angesichts der politischen Eiszeit zwischen den Supermächten schien dieses Thema für lange Zeit nicht auf der Tagesordnung zu stehen.
    In der Innenpolitik befreite sich die Republik gerade aus dem konservativen Korsett, das sich während der Amtszeit dreier Kanzler der Christlich Demokratischen Union – Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Kurt Georg Kiesinger – noch gefestigt hatte. Mit der sozialliberalen Koalition zunächst unter Willy Brandt, dann Helmut Schmidt erlebte das Land Gesetzesreformen, die dem seit der Nachkriegszeit deutlich gewandelten Zeitgeist viel mehr entsprachen. Die Universitäten wurden geöffnet, die Schuldfrage wurde aus dem Scheidungsverfahren gestrichen, eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen erlaubt.
    Willy Brandt und Helmut Schmidt tasteten freilich nicht das Grundverständnis dieser Republik an, das einem Grundkonsens unter den meisten ihrer Bürgerinnen und Bürgern entsprach: Po 44 litisch war die Bundesrepublik Deutschland ein Zwerg, aber wirtschaftlich musste sie ein Riese sein! Als Ziel staatlichen wie individuellen Handelns galt die beständige Mehrung des Wohlstands. Aus dem Wirtschaftswunder seit den fünfziger Jahren sollte eine Regel werden, und so kam es auch. Die Westdeutschen überschwemmten das eigene Land und die Welt mit immer neuen, immer moderneren Produkten, mit Autos, Fernsehgeräten und Kühlschränken.
    In der Rückschau gehört das Jahr 1977 zur Nachwirtschaftswunderzeit, die – verglichen mit Zuwachsraten in späteren Jahren und der wirtschaftlichen Lage in der Welt – noch immer eine Wunderzeit war. Auch wenn der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt steigende Arbeitslosenzahlen rechtfertigen musste – die Politik konnte damals noch Reichtum verteilen, statt den Mangel verwalten zu müssen.
    Gegen das Grundverständnis dieser Republik und den Grundkonsens ihrer Bürger, die vor allem das gemeinsame Konsumieren verband, regte sich seit Anfang der siebziger Jahre gewaltsamer Widerstand. Eine kleine Gruppe von Frauen und Männern hatte sich, geistig aus der Studentenbewegung kommend, im Denken und Handeln radikalisiert und verübte zunächst »Gewalt gegen Sachen« (mit Brandanschlägen von 1972 an), dann Gewalt gegen Menschen. Die »Rote Armee Fraktion« ( RAF ), wie sich die Gruppe bald nannte, wollte, um die bekannten Worte ihres Führungsmitglieds Andreas Baader zu zitieren, »die faschistische Fratze dieses Staates herausbomben«. Indem der Staat, so lautete die RAF -Logik, mit massivem Polizeieinsatz und scheingerechten Prozessverfahren gegen die Mitglieder der Gruppe vorgeht, zeigt er sein wahres Gesicht. Die Bundesrepublik Deutschland ist demnach kein demokratischer Rechtsstaat, sondern ein Polizeistaat in der Kontinuität des faschistischen Dritten Reiches. Die Wirtschaft befindet sich in der Hand weniger, es herrscht nach dieser Lesart ein Kapitalismus schlimmster Prägung. In ihrem Konsumrausch nehmen die Bürger diesen Kapitalismus hin. Die ersten Brandan 45 schläge der Terroristen galten folgerichtig Kaufhäusern als den Tempeln des kapitalistischen Konsums.
    Die Anschlagserie der Roten Armee Fraktion gegen Repräsentanten des Staates kulminierte nicht zufällig in den Terroraktionen des Jahres 1977 . Die erste Generation der RAF -Mitglieder saß in Haft, diese Frauen und Männer waren bereits rechtskräftig verurteilt oder ihnen wurde der Prozess gemacht. Andreas Baader und die anderen Häftlinge verzweifelten angesichts der Perspektive auf lange Haftstrafen und drängten die Mitglieder der zweiten Generation zu Aktionen, mit denen sie freigepresst werden sollten.
    Vor diesem Hintergrund ging die Rote Armee Fraktion aufs Ganze, ihre Führungsriege in den Gefängnissen betrachtete den Kampf – das sollten die Selbstmorde von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe im Spätjahr erweisen – als einen Kampf auf Leben und Tod. Die noch nicht gefassten Terroristen folgten dem Drängen von Baader und Co. Zunächst, im April, wurde Generalbundesanwalt

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