Die Ueberlebenden von Mogadischu
RAF -Terroristen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe in ihren Zellen in Stuttgart-Stammheim um. Der Suizidversuch einer vierten Terroristin, Irmgard Möller, misslingt. Die Strafvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim hatte als das sicherste Gefängnis in der Bundesrepublik Deutschland gegolten. Sofort beginnt eine Untersuchung darüber, wie die Terroristen an Waffen gekommen sind und wie sie untereinander kommunizieren konnten. 57
58 Unterwegs mit der Deutschen Lufthansa
In der »Landshut« sitzen unschuldige Menschen und leiden entsetzlich. Zu Hause sitzen ihre Angehörigen und leiden mit.
Ich bitte Diana Müll um ein Gespräch, ich möchte sie für eine Mitwirkung an meinem Buchprojekt gewinnen. Sie stimmt einem Treffen zu. Nach dem Treffen wünscht sie Bedenkzeit und erklärt schließlich ihre Bereitschaft zur Mitarbeit. Zu unserem zweiten Gespräch im Frühjahr 2011 – diesmal habe ich den Kassettenrekorder für einen Mitschnitt im Gepäck – möchte Diana Müll ihre Mutter mitbringen. Die Überredungskünste der Tochter reichen nicht aus, die Mutter sagt zuerst zu und dann wieder ab. Sie hat Angst, dass ihr das Thema einmal mehr zu nahe geht. Noch nach 35 Jahren will die Mutter von Diana Müll nicht so genau wissen, was während der fünf Tage in der »Landshut« passiert ist. Sie sieht sich die Interviews an, die ihre Tochter bisweilen im Fernsehen gibt, aber sie hat sich das Geschehen nie von ihrer Tochter selbst erzählen lassen. Zwar stand sie der Journalistin Christine Bode für ein zweites Buch von Diana Müll über »Mogadischu« Rede und Antwort, doch das erste hat sie nicht gelesen.
Meine Mutter hat während der fünf Tage, als ich in der Maschine saß, Essen und Trinken verweigert. Ihr Hausarzt musste ihr jeden Tag eine Beruhigungsspritze geben. Sie sagte immerzu: »Wenn meine Tochter sterben muss, möchte ich auch sterben.« Mein Vater bekam von seinem Chef einen Anruf mit dem Vorschlag, er solle, solange meine Entführung dauere, zu Hause bleiben. Er hätte auch gar nicht arbeiten können. Ich war geschockt, als ich meinen Vater in Frankfurt wiedergesehen habe, er wirkte um Jahre gealtert. Die Ultimaten haben ihn besonders mitgenommen.
Mit jedem Ultimatum wird ein Menschenleben neu angezählt.
Genau. Man muss sich das so vorstellen, dass meine Familie im Wohnzimmer vor dem Fernseher versammelt saß und nur noch die Berichte über die Entführung verfolgte. Es lief kein anderes Fernsehprogramm und auch keine Musik aus dem Radio mehr. Die ganze Familie befand sich sozusagen 59 schon in Trauer. Sie haben immer nur dieses Flugzeug gesehen, in dem ihre Tochter saß, und auf den großen Knall gewartet. Mittlerweile habe ich selbst eine Tochter, die so alt ist, wie ich es während der Entführung war. Schon bei dem Gedanken, das würde meiner Tochter passieren, kommen mir die Tränen. Es wäre der Horror. *
(Diana Müll, 2011 )
Beate Keller hat in vielen Interviews auf das Leid ihrer Familie hingewiesen. Sie legt dar, dass die Geiseln in dieser schrecklichen Situation eine Art Vorzug gegenüber Angehörigen haben: Die Geiseln wissen, dass es ihnen im Moment einigermaßen gutgeht, dass sie zum Beispiel genug zu trinken und zu essen haben. Die Angehörigen wissen es nicht. Sie machen sich zwangsläufig große Sorgen, die ihnen – weil ja niemand »in die Maschine schaut« – keiner nehmen kann.
Sie waren in der Maschine ohnmächtig gegenüber Ihren Entführern, aber Ihre Angehörigen zu Hause waren ohnmächtig dem Gedanken gegenüber, dass ihre Tochter in einem Flugzeug entführt wurde.
Ich habe später erfahren, dass mein Vater während der ganzen Entführungstage nicht in der Lage war, zur Arbeit zu gehen. Er konnte mich auch nicht am Flughafen in Frankfurt abholen, so fix und fertig war er. Er konnte nicht begreifen, was seiner Tochter zugestoßen ist. Meine Mutter flog mit meinem Bruder von Hamburg nach Frankfurt, um mich in Empfang zu nehmen. Dabei wollte sie eigentlich nie ein Flugzeug besteigen, sie hatte große Flugangst. Der Flug nach Frankfurt war der erste in ihrem Leben. Danach ist sie nie wieder geflogen.
Hat Sie die Frage, wie es jetzt wohl Ihren Eltern geht, in der Maschine beschäftigt?
Ja, sehr. Ich habe die ganze Zeit über gedacht, mein Gott, wie geht es denen bloß? Und ich habe an meinen Chef gedacht, dem ich versprochen hatte, am Tag nach meinem Urlaub wieder im Büro zu sein. Er hat ja meinen 60 Urlaub seinem Mit-Geschäftsführer verschwiegen,
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