Die Ueberlebenden von Mogadischu
den Psychologen Wolfgang Salewski nach Mogadischu bringt. Dort hört Rüdeger von Lutzau den Funkverkehr zwischen der »Landshut« und dem Tower mit – darunter die flehende Erklärung seiner Freundin kurz vor Ablauf des Nachmittags-Ultimatums an die Bundesregierung, endlich etwas für die Geiseln zu tun. »Ich will nur der deutschen Regierung sagen«, so Gabriele Dillmann wörtlich, »dass es ihre Schuld ist, wenn wir sterben. Und wir werden sterben. Ich weiß, sie werden es machen, sie haben schon alles vorbereitet. [. . . ] Dies ist wahrscheinlich meine letzte Nachricht. Ich heiße Gaby Dillmann. Sie müssen mit meinen Eltern sprechen und mit meinem Freund, er heißt Rüdeger von Lutzau. Bitte sagen Sie meinem Freund, dass ich ihn innig liebe, und sagen Sie meinen Eltern, dass ich sie auch liebe. [...]«
Nach der Befreiung schließt Rüdeger von Lutzau Gabriele Dill 67 mann, die sein Auftauchen nicht fassen kann, in die Arme. Er macht ihr einen Heiratsantrag, den sie annimmt.
Dieser Stoff liest sich wie ein modernes Märchen. Flugkapitän Peter Rogowski hat es mit seiner Zustimmung, dass ihn Rüdeger von Lutzau nach Mogadischu begleitet, möglich gemacht. Jedem anderen Angehörigen einer Geisel wäre der Wunsch, mit nach Mogadischu zu kommen, aus guten Gründen verwehrt worden. Rüdeger von Lutzau schlägt man die Bitte aus kollegialen, menschlich nachvollziehbaren Motiven nicht ab. Er bekommt als Kopilot sogar eine aktive Rolle zugeteilt. In der Rückschau glaubt Rüdeger von Lutzau, er habe damals fliegen dürfen, weil die Lufthansa von einem raschen, glücklichen Ende der Entführung ausgegangen sei, das es bei allen früheren Lufthansa-Entführungen davor auch gegeben habe.
Die Deutsche Lufthansa agiert mal glücklich, mal weniger glücklich im Drama um die entführte Lufthansa-Maschine »Landshut«. Einer, der in diesem Drama konsequent nicht in Erscheinung tritt, ist Herbert Culmann, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens und Chef von Werner Utter, der dem Krisenstab vorsteht. Die Entscheidung zu schweigen teilt Culmann mit dem Chef des anderen »Unternehmens«, das von der »Landshut«-Entführung unmittelbar betroffen ist, mit Helmut Schmidt, der als Bundeskanzler an der Spitze der Bundesregierung steht. Hat Helmut Schmidt am Abend der Entführung von Hanns Martin Schleyer noch eine Erklärung im deutschen Fernsehen abgegeben, ist er während der fünf Tage, an denen sich die Lufthansa-Maschine »Landshut« in der Gewalt von palästinensischen Terroristen befindet, abgetaucht. Für die Bundesregierung tritt nur ihr Sprecher Klaus Bölling vor Presse und Rundfunk. Herbert Culmann und Helmut Schmidt müssen sich als letzte, höchste Instanzen ihrer jeweiligen Exekutive für die schlimmste der möglichen Erklärung in Reserve halten, die Erklärung über einen tragischen Ausgang der Ereignisse.
* Anmerkung : Die aus dieser abweichenden Schriftart gesetzten Passagen gehen auf die Interviews zurück, die der Autor im Jahr 2011 mit ehemaligen Geiseln sowie Angehörigen und Freunden geführt hat.
68 Der Herrgott stand uns bei
Anfang Oktober befindet sich die Dramaturgie des Entführungsfalles Schleyer an einem toten Punkt. Die Ermittlungsbehörden haben ihre schnelle und beste Chance vertan, das Versteck von Hanns Martin Schleyer zu finden, aber das wird erst viel später bekannt. Hanns Martin Schleyer bleibt spurlos verschwunden. Die Entführer wiederum pochen auf die Erfüllung ihrer Forderungen, doch sie wissen auch, dass die Bundesregierung auf Zeit spielt. Mit jedem Tag, an dem Hanns Martin Schleyer am Leben bleibt, kann er lebend gefunden werden.
Es zeichnet sich weder ein glücklicher noch ein tragischer Ausgang des Nervenkriegs zwischen Bundesregierung und Terroristen ab, nur Stillstand.
Eine zweite Gewalttat könnte aus Sicht der Entführer Bewegung in die Situation bringen, weil sie den Druck auf die Bundesregierung erhöhen würde. Mit einer zweiten Gewalttat rechnen auch die Frauen und Männer im Bundeskriminalamt, die sich rund um die Uhr in die Denkweise der Terroristen hineinzuversetzen suchen.
Eine palästinensische Terrororganisation, bei der deutsche Terroristen für ihre Aktionen ausgebildet wurden, bietet der RAF die Besetzung der deutschen Botschaft in Kuwait oder die Entführung einer zivilen Passagiermaschine an. Die RAF wählt Variante zwei. Die Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm im Jahr 1975 war aus Terroristensicht nicht erfolgreich verlaufen.
Als dann am 13.
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