Die Ueberlebenden von Mogadischu
ein Vertreter der Bundesregierung, Ernst Haar, am Nachmittag des Sonntag, 16. Oktober 1977 , mit Angehörigen und Freunden von Geiseln im Bundeskanzleramt führt. Als spontan verfasst erscheint die Erklärung, weil sie mit der Hand und nicht auf einer Schreibmaschine geschrieben ist.
Mit Ernst Haar, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, steht den Angehörigen ein Politiker aus der zweiten Reihe Rede und Antwort, allerdings einer, der nicht nur von Amts wegen zuständig ist, sondern der selbst einmal Opfer einer – wenngleich weniger spektakulären – Entführung war. Zusammen mit seiner Tochter hatte er sich ein Jahr zuvor in der jordanischen Hauptstadt Amman für einige Stunden in der Hand von Terroristen befunden.
Mit den Mitgliedern der beiden Krisenstäbe können die Besucherinnen und Besucher nicht sprechen. Ernst Haar sagt zu, den Mitgliedern die Erklärung vorzulegen. Der Text, von dem Jutta Knauff bis heute eine Kopie aufbewahrt, scheint nicht in die Öffentlichkeit gelangt zu sein – Tagesschau und heute zitieren nicht daraus, sondern erwähnen nur kurz, dass die Angehörigen eine Erklärung übergeben hätten. Möglicherweise blieb der Wortlaut der Erklärung im Sieb der Nachrichtensperre hängen.
Der Besuch von Angehörigen im Kanzleramt verfehlt seine Wirkung dennoch nicht. Längst lauern Journalisten rund um die Uhr an der Zufahrt zum Bundeskanzleramt, um ein und aus ge 74 hende Personen abzupassen. Als die Angehörigen und Freunde von Geiseln am Sonntagnachmittag auftauchen, warten schon unzählige Mikrofone, Fotoapparate und Fernsehkameras auf sie. Am meisten Aufmerksamkeit erntet ein Junge, der zehnjährige Mike Brod, der ein Schild mit der Aufschrift »Herr Bundeskanzler! Ich will meine Mutti wiederhaben!« trägt. Seine Mutter Jutta Brod, spätere Knauff, sitzt in der entführten Maschine. Das Schild ist eine Bastelarbeit seiner Schwester, die nicht nach Bonn gekommen ist.
Das Bild von Mike und seinem Schild geht um die Welt, Tagesschau und heute zeigen es, viele Zeitungen rund um den Globus drucken es auf ihren Titelseiten. Nichts drückt die Hilflosigkeit von Geiseln und Angehörigen in diesem Augenblick prägnanter aus.
Weiter zeigen Tagesschau und heute ein kurzes Interview mit Mikes Vater, Paul Brod, der auf die Frage, weshalb er nach Bonn gekommen sei, antwortet, »um das Leben meiner Frau zu retten«.
Die Mitglieder der Krisenstäbe sehen sich die Hauptausgaben von heute um 19 . 00 Uhr und der Tagesschau um 20 . 00 Uhr an. Auf diese Weise begegnen sie Vater und Sohn dann doch.
Es gibt außerdem Hinweise, dass die Politiker im Kanzleramt nicht völlig abgeschirmt von den Ereignissen waren, die sich davor abspielen. Helmut Kohl, als Vertreter der Opposition Mitglied des Krisenstabes, berichtet 2003 in der Fernsehdokumentation von Christine Adelhardt, Martin Munz und Ulrich Semler anlässlich des 85. Geburtstages von Helmut Schmidt: »Wir wussten, dass die GSG - 9 -Polizeibeamten stürmen werden. Aus der Nähe vom Haupttor des Kanzleramts kamen die Chöre von Familienangehörigen, die ja verlangt hatten, dass wir nachgeben, die dann immer im Chor rufen: ›Mörder, Mörder Mörder!‹ Das ist eine Erinnerung, die ich nie vergesse, und er [Helmut Schmidt; Anm. d. Verf.] sicherlich auch.«
Bei der Erklärung von Angehörigen und Freunden der Geiseln handelt es sich nicht um die einzige Post, die den Entscheidungsträgern aus der Hand von Angehörigen vorgelegt wird. Karl Han 76 ke berichtet in seinem Beitrag für die Zeit von einem Telegramm, das seine Kinder an Bundeskanzler Helmut Schmidt richten: Er soll sich für die Freilassung der inhaftierten Terroristen entscheiden, damit die Geiseln – darunter der eigene Vater – am Leben bleiben.
Abb. 4 : Angehörige von »Landshut«-Geiseln formulierten während eines Gespräches mit einem Vertreter der Bundesregierung am 16. Oktober 1977 eine Erklärung, die den Mitgliedern der Krisenstäbe im Bundeskanzleramt vorgelegt wurde. 75
Ernest Brauchart, Lebensgefährte und späterer Ehemann der Chefstewardess Hannelore Piegler in der entführten »Landshut«, wendet sich an »seinen«, den österreichischen Bundeskanzler Bruno Kreisky mit der Bitte, bei Helmut Schmidt auf eine Befreiung der Geiseln hinzuwirken. Als Bruno Kreisky Tage später von der geglückten Befreiung erfährt, ruft er persönlich Ernest Brauchart an und überbringt ihm die gute Nachricht.
Horst Meijer-Werner und sein Bruder, die Söhne der in
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