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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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ich«, berichtet Hannelore Piegler in ihren Erinnerungen eine Szene, »die vollen Flaschen weiterreichen zu lassen, so lange, bis jede Reihe eine ganze Flasche für sich hätte. Aber das funktionierte nicht. Die Gier der Leute ließ sie die Flaschen sammeln und horten, so dass keine einzige die hintere Hälfte der Kabine erreichte.«
    Ein Mann sagt zu seiner Frau: »Ich liebe dich.« Die Frau reagiert nicht so, wie er hofft, sie sagt: »Das war nicht immer so, nicht wahr?«
    Ein Mann schaut wie abwesend beiseite, als seine Frau einen Weinkrampf bekommt und ihr der Entführer Mahmud, da sie nicht gleich zu weinen aufhört, mit Hinrichtung droht.
    Ein Mann vernachlässigt Frau und Kind, die neben ihm sitzen, und macht eine der Schönheitsköniginnen an.
      106 »Da gab es tatsächlich Männer«, schreibt Diana Müll in ihren Erinnerungen, »die ihren Partnerinnen das wenige Essen und Trinken streitig machten, die so völlig aus der Gemeinschaft fielen, nur noch um sich selbst drehten und die zwischen Freund und Feind nicht mehr unterscheiden konnten. [. . . ] Mein mädchenhaftes Männerbild vom starken Beschützer mit der breiten Schulter löste sich in Unglauben, aber auch teils in Verachtung auf.«
    Untreue Männer wollen später, dass die Frauen ihnen verzeihen. Auch der Mann, der auf Mallorca angeblich auf Geschäftsreise war, in Wahrheit aber Urlaub mit seiner Sekretärin gemacht hat. Der Schwindel fliegt jetzt, da beide in der entführten Maschine saßen, natürlich auf.
    Eine Frau, die allein in der entführten »Landshut« ist, bewegt ihren Mann zu Hause, ohne dass sie es weiß, zu einer Entscheidung: Aus Angst um seine Frau schreibt der Mann seiner jungen Geliebten, für die er bis jetzt seine Familie verlassen wollte, einen Brief. In diesem Brief, den Lars Strömsdörfer und Wolfgang Niemann in ihrem Buch Einsatz in Mogadischu zitieren, heißt es: »Es wird nichts aus uns beiden. Wenn ich in diesem Augenblick, da meine Frau in Gefahr schwebt, zu meinem Versprechen, mit Dir zu leben, stehen würde, wäre das eine Herausforderung des Schicksals. Und wenn sie, was ich von ganzem Herzen hoffe, unbeschadet aus der Sache herauskommt, dann ist das für mich ein Hinweis des Himmels, es noch einmal mit ihr zu versuchen. Ich hoffe, Du verstehst mich.«
    Manche Opfer haben mit sich allein etwas abzumachen. Rhett Waida kennt sich selbst als fröhlich und dynamisch, er betreibt mit viel Elan ein Restaurant. In der »Landshut« reagiert er lange gefasst auf die Situation, doch gegen Ende der Entführungstage ergreift auch ihn Verzweiflung über den ungewissen Ausgang. Die Interviews, die Rhett Waida nach seiner Befreiung in verschiedenen Medien gibt, vermitteln das Bild eines Mannes, der mit der Erfahrung, sich plötzlich schwach und hilflos zu fühlen, klarkommt, weil er nach der Rückkehr offen darüber sprechen kann – aber 107 auch er muss, so legen seine Aussagen ebenfalls nahe, die neue Erfahrung, die er mit sich gemacht hat, erst verarbeiten.
    Julia Sost braucht Jahre, um mit ihrem Verhalten in einer Grenzsituation Frieden zu machen. »Ich habe mich sehr stark mit diesem Thema auseinandergesetzt«, sagt die frühere Geisel im Jahr 2008 dem Journalisten Thomas Friedrich Koch: »Und was ist das Thema? Das Thema ist die Todesangst, das Thema ist aber auch das eigene Verhalten, die Frage der Unterwerfung. In dem Verhör habe ich Reaktionen gezeigt, die mich im Nachhinein sehr beschäftigt haben und auch mitgenommen haben« [Mahmud holte immer wieder Geiseln in den Erste-Klasse-Bereich zum Verhör, wenn er zum Beispiel wegen Angaben im Pass oder wegen persönlicher Gegenstände eine jüdische Abstammung vermutete; Anm. d. Verf.].
    Auch in der »Landshut« gibt es den »Stockholm-Effekt«, die Solidarisierung mit den Entführern. Ein Vortrag, den Mahmud über die aussichtslose Lage des palästinensischen Volkes hält, wird am Ende von allen Geiseln beklatscht, wie sich Beate Zerbst im Gespräch mit Ebbo Demant erinnert.
    Eine Frau will sich mit Schmuck freikaufen. Immerhin hat sie Preziosen im Wert von 48 000 Mark bei sich an Bord. Es hilft ihr nichts, im Gegenteil. Die »Dicke«, wie die Entführerin Souhaila Andrawes von den Geiseln heimlich genannt wird, schreit die Frau an, sie und die anderen drei wollten keinen Schmuck, sie seien Freiheitskämpfer.
    Eine andere Frau scheint ebenfalls ein Angebot gemacht zu haben. Chefstewardess Hannelore Piegler zitiert sie in ihren Erinnerungen mit den Worten »Ich habe ein

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