Die Ueberlebenden von Mogadischu
Mutter, mein 110 Vater und ich beim gemeinsamen Mittagessen zu Hause am Tisch. Er redete unaufhörlich sehr erregt von den Ereignissen der vergangenen Tage. Das war sonst gar nicht seine Art, aber wenn sich so viele Eindrücke und Emotionen ansammeln, möchte man diese sicherlich unbedingt loswerden. Meine Mutter, die sich um ihn sorgte, sagte ihm, er solle nicht so viel reden und sich schonen. Ich sehe heute noch das Bild vor mir, wie er dann anfing zu weinen und sagte: »Du weißt gar nicht, was ich mitgemacht habe.« Im Grunde sprach er damit aus, was uns den Umgang mit ihm in der Familie so schwer gemacht hat: Wir haben die Ereignisse nicht hautnah erlebt. Man kann sich zwar das Gehörte vorstellen und mitfühlen, so gut es geht. Aber die Bilder, die er von dieser Woche mitgebracht hat, die ausgestandenen Todesängste – davon machen wir uns keine Vorstellung. Auch nicht von der Wirkung, die sie haben können.
Frau Rath, haben Sie Ihren Mann vor der Entführung schon einmal weinen sehen?
Hedwig Rath: Er hat nie geweint.
(Hedwig Rath und Dorothe Köster, 2011 )
Die Freude bei Freunden und Bekannten der Opfer ist riesig. Sie drückt sich in einem Meer von Blumen und Grußkarten aus, das die befreiten Geiseln zu Hause erwartet. Die Grüße bemühen häufig das Bild vom 18. Oktober als dem zweiten Geburtstag der oder des Betroffenen. Es sind auch viele Geburtstagskarten in der Post. Die Familie von Beate Zerbst erhält ein Glückwunsch-Telegramm »zur Wiedergeburt Ihrer Tochter«. Weiter wird »ein schnelles Vergessen und ein gesundes Leben« gewünscht.
Beate Zerbst bekommt Post von Menschen, deren Namen sie noch nie gehört hat, darunter selbst verfasste Gedichte auf ihre Rettung (»Man belächelt oft den Herrgott / glaubt nicht an seine Wunder / doch zu den deutschen Geiseln / kam er persönlich runter«) und Liebesbriefe von Unbekannten. Ein damals zwölfjähriger Junge schreibt ihr zwei Jahre lang.
Es ist Post von Menschen dabei, die es mit den Opfern gut meinen, aber vielleicht auch eigennützig werben wollen. Der Ers 111 te Vorsitzende eines Heimat- und Verkehrsvereins dankt der Bundesregierung per Telegramm »für die wunderbare Rettung von Geiseln aus großer Not und bietet diesen zehn Urlaubsplätze 14 Tage mit Vollpension in ruhiger herrlicher herbstlicher Mittelgebirgslandschaft kostenlos an«. Die Bundesregierung leitet den Geiseln jeweils eine Kopie des Telegramms zu.
Der Vorsitzende einer »Original Hamburger Hummel-Garde« schreibt Anfang Dezember 1977 an Beate Zerbst, die Garde wolle ihr »eine kleine Weihnachtsfreude bereiten«, und lädt sie »nebst Ihren Angehörigen zu einer Vorweihnachtsfeier am 18. Dezember 1977 « ein. Dem Brief liegt ein Gutschein »zur kostenlosen Teilnahme« (diese Worte sind unterstrichen) plus einem Schoppen Wein bei. »Weiterhin senden wir Ihnen einen Gutschein für drei Monate kostenlose Teilnahme in unserer Gemeinschaft ab Januar 1978 [. . . ].« Um der Einladung Nachdruck zu verleihen, ruft die Gattin des Vorsitzenden mehrfach die Mutter von Beate Zerbst an.
Neben Freude und freundlich gemeinten Angeboten begegnen den zurückgekehrten Geiseln aber auch Skepsis und Besserwisserei. Rhett Waida gibt im Gespräch mit dem Filmemacher Ebbo Demant 1980 ein Beispiel für eine solch besserwisserische Reaktion. Er macht eine vergleichbare Erfahrung, wie sie Karl Hanke in seinem Beitrag für die Zeit schildert.
»Ich habe auch im Nachherein mit etlichen Leuten zusammengesessen, die im Krieg waren. Die haben gesagt, also ihr wart doch alles junge Männer, ihr hättet etwas machen können, das sind doch nur vier Mann gewesen. Es sieht immer anders aus. Ich muss auch sagen, es haben mich oft Leute angesprochen, die haben gesagt, ja, ihr habt nur vier Tage im Flugzeug gesessen, wir waren vier oder sechs oder acht Jahre im Krieg, wir haben in Gefangenschaft gelebt. Es war für mich noch etwas anderes. Ich habe zwar keinen Krieg mitgemacht, aber für mich war es wichtig, der Unterschied ist da, ob man in einem Raum zusammen mit andern Leuten drinsitzt und nichts machen kann, wenn man sich nicht bewegen kann. Für mich war das sehr wichtig, weil ich ein sehr impulsiver Mensch bin. Ich 112 muss also die Freiheit haben, ich muss raus. [. . . ] Das war für mich so deprimierend, dass ich vor einem Menschen Achtung haben muss, der körperlich kleiner ist [. . . ].«
Rhett Waida zieht daraus den Schluss, »man kann das einem Außenstehenden gar nicht alles so erzählen.
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