Die Ueberlebenden von Mogadischu
Ich hab es jedenfalls nicht oft versucht. Ich hab es nur bei meinen persönlichen Bekannten versucht, denn wenn ich mit anderen Leuten da drüber gesprochen hab, hab ich oft das Gefühl gehabt, dass es so ausgelegt wurde, als ob ich mich wichtigtun wollte.«
Was Außenstehende in der Regel nicht wissen: Wie tief sich eine traumatische Erfahrung ins Gehirn einbrennt, hängt nicht von der Dauer dieser Erfahrung ab. Es kommt auf die Intensität des Erlebten an und auf die Bedeutung, die es für die Betroffenen hat. Deshalb verbietet sich der Hinweis, die »Landshut«-Entführung habe doch nur fünf Tage gedauert, und noch abwegiger ist der Vergleich mit anderen traumatischen Erlebnissen, etwa dem des Krieges.
Edelgard Wolf berichtet im Gespräch mit Ebbo Demant von einer anderen, ebenso negativen Erfahrung mit ihrer Umwelt. Die Leute hätten zu ihr gesagt: »Ihr werdet ja doch wohl keine Entschädigung annehmen, das sind doch unsere Steuergelder!« Diese Leute hätten in den nächsten Monaten ihren Lebenswandel beobachtet. Sie wollten wissen, ob sich das Ehepaar mit vermeintlichem Geld aus Bonn etwas Besonderes leistet.
Eine andere, neue Gruppe im Leben der Opfer, Journalistinnen und Journalisten, begleiten aufmerksam bis neugierig das Leben der Heimgekehrten nicht nur in den Tagen nach der Befreiung, sondern für lange Zeit. Einige Vertreter der Zunft verhalten sich dabei nicht zimperlich: Besonders die Schönheitsköniginnen bleiben im Fokus des medialen Interesses, verkörpern sie doch Jugend, Schönheit und die Tragik eines schmerzlichen Schicksals. Diana Müll wird in ihrer Heimatstadt Gießen monatelang aufgelauert. Zeitweise traut sie sich nicht allein auf die Straße.
Verlage von Zeitschriften und Zeitungen machen für Exklusiv-Berichte so viel Geld locker wie nie zuvor. Allein der Stern setzt 113 23 Reporterinnen und Reporter auf das Thema an, sie fliegen dafür insgesamt 80 000 Kilometer um den Erdball. Auch das Honorar, das an Gesprächspartner gezahlt wird, übersteigt bisherige Dimensionen. »Es wurde ständig an uns herumgepokert«, erinnert sich der damalige Mann der »Landshut«-Geisel Jutta Brod 1978 in einem Fernsehbeitrag des NDR -Magazins extra 3. Er ist zu dieser Zeit Leiter einer Sparkassen-Filiale. »Da ich beruflich mit Geld zu tun habe, habe ich natürlich angefangen, ein bisschen mitzupokern.«
Über Gelddinge konnte Ihr Mann gut und gern sprechen. Es gibt einen Fernsehbeitrag mit ihm und der ganzen Familie, in dem er erzählt, dass er von einer Zeitung 20 000 Mark für Ihre Geschichte verlangt und bekommen hat.
Ja, er hat mit der Münchner Abendzeitung einen Vertrag gemacht, während ich noch im Flugzeug saß. Ich war noch gar nicht aus der »Landshut« heraus, da hatte er mich schon verkauft. Stellen Sie sich das einmal vor!
Und Sie ...
... das war ein Exklusiv-Vertrag für eine Artikelserie. Für mich war das auf eine Weise auch gut, ich musste und konnte so anderen Journalisten nicht Rede und Antwort stehen. Für mich war es das Beste, was mir passieren konnte. Dabei hat mir Geld überhaupt nichts bedeutet.
Sie haben das alles akzeptiert?
Mein Mann sagte zu mir: »Ach Juttchen, jetzt hast du schon so viel ausgehalten, das bisschen schaffst du auch noch.« Der Vertrag lag, als ich nach Hause kam, zur Unterschrift bereit. Mein Mann sagte: »Ich weiß, dass du mich heute hasst, aber in zwei Wochen wirst du mir dankbar sein.« Ich glaube, er war sich der Kälte seiner Handlung nicht bewusst. Er hielt sie vielmehr für strategisch klug. In einem Punkt behielt er recht, denn ich muss sagen, es hat mir gutgetan, mir die Erlebnisse von der Seele zu reden. Das konnte ich zu Hause ja nicht. Die Reporter sind fair mit mir umgegangen. Es folgte auch eine faire Berichterstattung. Es gab keine Sensationsmeldungen oder Behauptungen, die nicht gestimmt haben.
(Jutta Knauff, ehem. Brod, 2011 )
114 Heute ist die Artikel-Serie (» AZ -Exclusiv: ›Ich war Geisel im Lufthansa-Jet‹«) Jutta Knauffs authentische Erinnerung an dieses schicksalhafte Ereignis ihres Lebens. Sie möchte die Berichte von ihrer Enkelin abtippen lassen, weil die Originale verblichen und bald nicht mehr zu lesen sind.
Wer die Berichterstattung der Medien in den Tagen und Wochen nach »Mogadischu« verfolgt, stößt auf viele Sündenfälle. Ein Fernsehteam interviewt zum Beispiel die »Landshut«-Geisel Birgitt Röhll auf dem Flug von Frankfurt nach Berlin, wo sie lebt. Neben ihr sitzen ihr zehnjähriger Sohn, der
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