Die Ueberlebenden von Mogadischu
für die früheren Geiseln eine Holschuld. Die Betroffenen müssen ihre Bedürftigkeit individuell begründen, statt pauschal in ihrem Status als Opfer anerkannt zu werden. Die Prüfung, ob gemäß dem Gesetz Zahlungen möglich sind, liegt nicht bei der Bundesregierung, sondern bei den Landesversorgungsämtern, die wiederum den Arbeits- und Sozialministerien der Länder unterstehen. Diese regionale Organisation sorgt dafür, dass Anträge je nach Bundesland unterschiedlich behandelt werden – mal mehr, mal weniger großzügig.
Bei den Landesversorgungsämtern selbst gibt es noch keine Erfahrung mit der Anwendung des Gesetzes. Soll man eine Art Schmerzensgeld leisten? Oder soll man Geld geben für eine bestimmte Heilbehandlung wie eine Psychotherapie? Der Hinweis, dass die Kosten einer Psychotherapie über das Opferentschädigungsgesetz gedeckt sein können, geht im Januar 1978 noch einmal an alle Betroffenen. Offenbar war die Frage in der kurzen Gesetzespraxis noch nicht aufgetaucht und wird jetzt, da mit dem »Landshut«-Opfern erstmals ein Klärungsbedarf entsteht, mit einem Ja beantwortet.
Die früheren »Landshut«-Geiseln sollen also nicht nur individuell Anträge auf Schmerzensgeld stellen, sie müssen auch jeweils für ihren Fall begründen, dass sie eine Psychotherapie brauchen. Auch in diesem Fall legt der Weg, den die Bundesregierung vorgibt, die Hürden hoch, denn Ende der siebziger Jahre ist das Krankheitsbild der posttraumatischen Belastungsstörung noch nicht definiert und anerkannt. Wie soll eine ehemalige Geisel gut begründen, dass ihre Angstzustände und ihre Schlafstörungen zwei, 153 drei Jahre nach der Entführung auf dieses Ereignis zurückgehen? Ende der siebziger Jahre gibt es darüber noch keine allgemeine Einsicht, und zur Therapie nur Schlaftabletten.
Hinzu kommt, dass eine Psychotherapie zu dieser Zeit noch viel weniger »gesellschaftsfähig« ist als heute. Die zeitgenössische Auffassung lautet: Wer zum »Psychodoktor« muss, hat eine Macke! Das dünkelhafte Auftreten und die sperrige, Abstand wahrende Sprache der Psychotherapeuten und Psychologen – davon werden gleich Beispiele zu lesen sein – halten die Hemmschwelle zusätzlich hoch.
Es kostet Ende der siebziger Jahre viel Überwindung, oder anders ausgedrückt: es setzt viel Leidensdruck voraus, dass sich jemand eingesteht, eine Psychotherapie zu brauchen. Noch mehr Überwindung kostet es, diesen Bedarf mit einem Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse oder beim Versorgungsamt bekannt zu machen. »Die Opfer möchten im Allgemeinen nicht die Stigmatisierung des psychiatrischen Patienten bekommen«, sagt der niederländische Psychiater Jan Bastiaans im Radiogespräch 1979 mit Rosvita Krausz. »Erst wenn sie das Gefühl haben, mit ihm können wir ganz gut sprechen, er betrachtet uns nicht als Irre oder als psychiatrische Patienten«, kommt ein Gespräch mit dem Therapeuten in Gang. Aber dazu bedarf es damals noch des ersten Schrittes vom Opfer selbst.
Kein Wunder, dass viele »Landshut«-Geiseln keine Therapie anstreben, wenigstens in der ersten Zeit nach der Befreiung nicht. Das Geiselopfer Hans Dieter Coldewey sagt 2007 in einem Interview mit transmission , dem Magazin der Deutschen Flugsicherung: »Ich habe auch an der psychologischen Betreuung nicht teilgenommen, die sie uns angeboten haben. Meine Frau schon, aber ich bin da nicht hin. Ich setze mich doch nicht in einen Kreis und fasse andere an den Händen.«
In vielen Fällen wäre therapeutische Hilfe gleichwohl nötig gewesen.
Was diejenigen erwartet, die Anträge auf Entschädigung nach 154 dem OEG stellen, zeigt ein Blick in die Antragsformulare von damals. Diese Formulare eignen sich nicht für den Fall einer Flugzeugentführung. »Keine einzige Frage hat gepasst«, erinnert sich Jutta Knauff, die ihren Antrag beim Versorgungsamt Koblenz gestellt hat. »Es war schrecklich.«
Die »Landshut«-Geisel Rhett Waida ärgert sich, so zitiert in der Spiegel -Titelgeschichte vom 15. Oktober 1979 , die den staatlichen Umgang mit Opfern von Gewaltverbrechen zum Thema hat, über die »blödsinnigen Fragen«, die ihm klargemacht hätten, »dass es in Wirklichkeit niemanden interessiert, was mit mir passiert ist«.
Mir liegt die Kopie eines Antrages vor, den eine frühere »Landshut«-Geisel beim Versorgungsamt Dortmund eingereicht hat. Eine Frage gilt den Zeugen des schädigenden Ereignisses, eine weitere lautet: »Hat ein Dritter die Schädigung verursacht?«
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