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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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Weiter soll der Antragsteller mitteilen, ob »der Tatbestand polizeilich festgestellt« worden sei. Das Formular des Versorgungsamts Dortmund macht den Eindruck, als sei es »handgestrickt«. Es gibt im Herbst 1977 und Frühjahr 1978 offenbar kein gedrucktes, einheitliches Formular, auf das alle Landesversorgungsämter zugreifen können.
    Friedrich Christian Delius gibt in seinem Roman Mogadischu Fensterplatz andere Beispiele für gestellte Fragen. Er flicht sie immer wieder in seine Erzählung der fünf Tage aus Sicht einer Geisel ein.
    »Tatzeit (Wochentag), den (Datum), um Uhr. Min. Worin sehen Sie den Anlass für das zur Schädigung führende Ereignis?
    Aus welchen Gründen hielten Sie sich am Tatort auf?
    Sind Sie bei der Abwehr des rechtswidrigen Angriffs von anderen Personen unterstützt worden? Ja – nein. Gegebenenfalls von wem?
    Wann und von wem ist Erste Hilfe geleistet worden?
    Welche Körperschäden haben Sie durch eine Gewalttat erlitten?
    Sind Sie mit dem Schädiger verwandt oder verschwägert?
      155 In welchem Verhältnis stehen Sie zu dem Schädiger (Verlobter, Lebensgefährte, etc.)?«
    Manche Versorgungsämter schickten Betroffene, die einen Antrag gestellt hatten, zu Untersuchungen durch vom Amt beauftragte Ärzte. Diese Untersuchungen wurden häufig als entwürdigend, weil nicht den Beschwerden angemessen empfunden. Eine frühere »Landshut«-Geisel musste zum Beispiel auf dem berühmten weißen Strich gehen. Ein Arzt überprüfte ihre Muskelreflexe mit dem bekannten Hämmerchen. Weiter musste diese Geisel, wie sie sich erinnert, »Idiotentests« machen.
    Die Geiseln in der entführten »Landshut« waren in der Mehrzahl Deutsche, doch auch Frauen und Männer aus anderen Ländern waren betroffen. Die »Gegenseitigkeit« des Opferentschädigungsgesetzes ist im Herbst 1977 nur in Großbritannien, Irland, den Niederlanden und Schweden gewährleistet. »Geschädigte« aus diesen vier Staaten müssen ihren Antrag an das zuständige Auslandsversorgungsamt richten, Niederländer etwa an das Amt in Aachen. Deutsche Geiselopfer, die im Ausland leben, sollen sich ebenfalls an das für ihr Wohnsitzland zuständige Auslandsversorgungsamt wenden. Ausländische Geiselopfer, die nicht aus einem der vier Länder kommen, haben keinen Anspruch auf Unterstützung nach dem Opferentschädigungsgesetz. Das gilt zum Beispiel für die Österreicherin Hannelore Piegler, die Chefstewardess in der entführten »Landshut«.
    Hannelore Piegler wählt einen anderen Weg. Sie macht den Versuch, die Steuerfreiheit für ihre »Überstunden« in der entführten »Landshut« durchzusetzen. Die Deutsche Lufthansa hatte den Mitgliedern der Crew »Überstunden« und einen weltweiten Freiflug mit zwei Hotelübernachtungen bezahlt sowie Sonderurlaub gewährt (jeweils eine Woche pro Entführungstag).
    Hannelore Piegler bekam für den Monat Oktober 1977  – einschließlich etwa 3500 Mark für die angerechneten Überstunden – ein Gehalt von 8892 Mark. Damit geriet sie in eine solche Steuerprogression, dass ihr von dem unverhofft verdienten Geld kaum 156 etwas übrig blieb. Sie wandte sich an das Finanzamt Groß-Gerau mit der Bitte, diese Zahlung steuerfrei zu belassen, was das Finanzamt ablehnte, weil »bisher keine Verwaltungsanweisungen über eine etwaige Steuerbefreiung oder -vergünstigung für die Besatzungsmitglieder der ›Landshut‹ ergangen sind«. Diese Antwort fand sie, wie sie in der Rückschau erzählt, »frech und anmaßend«. »Ich habe fünf Tage meinen Kopf für die deutsche Demokratie hingehalten – und dann das!« Hannelore Piegler versucht, die Befreiung beim Amtsgericht Groß-Gerau zu erwirken, doch vergeblich.
    Schließlich wendet sie sich mit ihrem Anliegen direkt an den Bundesfinanzminister. Sie bittet mit Datum vom 15.   Dezember 1978 den »sehr geehrten Bundesminister, den vorliegenden Fall einer wohlwollenden Prüfung zu unterziehen«. »Es ist wohl unbestritten«, so die Verfasserin des Briefes, »dass es sich bei meiner Dienstleistung während der Entführung von Palma nach Mogadischu nicht um eine normale Mehrarbeitsleistung gehandelt hat.«
    Hans Matthöfer, inzwischen Bundesfinanzminister, zeigt in seinem Antwortschreiben »angesichts der schwerwiegenden Belastungen, die mit der Entführung verbunden waren, zwar volles Verständnis« für die Bitte, aber: »Eine solche Einzelfallentscheidung kann nach der Zuständigkeitsverteilung nur vom Landes­finanzminister getroffen werden.« Das Thema

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