Die Ueberlebenden von Mogadischu
August 1978 kann Andreas Ploeger den Betroffenen mitteilen, er habe nun die Zusage des zuständigen Bundesministers für Arbeit und Soziales erhalten, dass die infolge der Entführung notwendig gewordene psychotherapeutische Behandlung oder Betreuung entsprechend dem Gesetz für die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten finanziell getragen werde. Der Minister für Arbeit und Soziales habe außerdem ihn mit der Durchführung dieser Psychotherapie beauftragt. Die therapeutische Maßnahme wird Ende 1978 /Anfang 1979 in zwei jeweils einwöchigen Treffen in Kurkliniken in Aachen und Damp 2000 stattfinden.
Damit ist der Weg aber noch nicht frei. Mit jedem, der eine Psychotherapie wünsche, so teilt Andreas Ploeger in seinem Brief weiter mit, müsse zuvor nochmals kurz schriftlich, fernmündlich oder im persönlichen Gespräch geklärt werden, ob eine solche Psychotherapie auch aus der ärztlich-psychotherapeutischen Sicht sinnvoll erscheine. Denn zum einen seien die Bereitschaft und der Wille zu einer solchen Behandlung vonseiten der Betroffenen Voraussetzung, zum anderen die ärztlich-psychotherapeutische Indikation.
Die Initiative verfehlt einen Teil ihrer beabsichtigten Wirkung, weil sie so spät kommt. Manche frühere Geiseln finden aus den Ängsten und der Isolation, in die sie wegen mangelnder Hilfe nach ihrer Befreiung geraten waren, nicht heraus. »Eine Bahnfahrt allein nach Damp 2000 wäre gar nicht gegangen«, erinnert sich Diana Müll, »ich bin zu der Zeit nicht einmal in ein Auto gestiegen.«
Andere Betroffene sagen aus anderen Gründen ab. Beate Keller hat zu Andreas Ploeger, der sie wie andere Opfer für Forschungszwecke interviewte, keinen Draht gefunden. »Er hat mich ausgefragt. Er hat mir Fragen gestellt, die überhaupt nichts mit mir zu tun hatten, jedenfalls habe ich es so empfunden. Ich habe mich 172 gefragt: Was will dieser Mann von mir? Ich hielt seine Fragen nicht für angebracht. Nach diesem Gespräch war ich überzeugt: Du brauchst diesen Menschen nicht.«
Beate Keller, damalige Zerbst, fährt nicht nach Aachen und nur privat nach Damp 2000 , um abends Mitpassagiere aus der »Landshut« zu treffen.
Die Teilnahme an den beiden Therapiewochen ist selbstverständlich freiwillig. Wer sich dazu entschließt, muss hohe Hürden nehmen. Die Einwilligung des Hausarztes mag eine Formalität sein, doch es bedarf einer Zusage des jeweiligen Versorgungsamtes. Eine Zusage des Amtes gilt jeweils nur für eine Maßnahme. Wer also nach Aachen und Damp 2000 will, muss zwei Genehmigungsprozeduren über sich ergehen lassen.
Andreas Ploeger schildert das Prozedere in einem Brief an die Betroffenen: Der Hausarzt müsse gegenüber dem Versorgungsamt erklären, dass die Therapie notwendig sei, indem er eine Bescheinigung an das Versorgungsamt adressiere, ausstelle und entweder direkt dorthin schicke oder sie dem Patienten zur Weiterleitung überlasse. Die Gründe, die der Hausarzt in dieser Bescheinigung anzuführen habe, seien die Beschwerden und Erscheinungen, über die der Antragsteller bereits mit Professor Ploeger gesprochen habe.
Manchen Betroffenen wird die Fahrt von ihren Angehörigen untersagt. »Wenn du daran teilnimmst, spreche ich kein Wort mehr mit dir!«, sagt Horst Meijer-Werner zu seiner Mutter Cäcilie. »Bei solchen Treffen wird etwas aufgewühlt und bekommt eine größere Bedeutung, als es haben soll. Das läuft für mich in falsche Bahnen. Wenn du das Gefühl hast, du musst darüber reden, kommst du zu mir!«
Am Ende sind es gerade einmal 16 »Landshut«-Geiseln von insgesamt 86 , die das Angebot von Andreas Ploeger annehmen (zur zweiten Gruppenbehandlung kommen »Nachzügler« hinzu). Andreas Ploeger bildet zwei Gruppen von jeweils acht Personen, die sich unabhängig voneinander zu einer psychotherapeutischen 173 Maßnahme in Aachen, in der Kurklinik an der Rosenquelle, treffen. Die ehemaligen »Landshut«-Geiseln Edelgard und Everhard Wolf nehmen in der Zeit vom 5. bis 13. Dezember 1978 an einer solchen Gruppenbehandlung teil, Jutta Brod in der Zeit vom 9. bis 17. Januar 1979 .
Andreas Ploeger arbeitet mit Methoden des Psychodramas. Ein solches »Drama« schildert Gabriele von Lutzau der Journalistin Rosvita Krausz in einem Gespräch 1980 , das im Hessischen Rundfunk gesendet wird. »Der Leiter der Therapie, Professor Ploeger, hat einen Sessel vor uns gestellt und hat gesagt: ›So, da sitzt jetzt der Mahmud drin, der guckt euch jetzt an. Der ist vollkommen entwaffnet.
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