Die Ueberlebenden von Mogadischu
Völlig hilflos sitzt er da jetzt. Kann sich nicht wehren. Es geht jeder hin zu ihm und sagt ihm, was er von ihm denkt. Schreit ihn an oder haut ihn, tritt ihn, macht, was ihr wollt!‹ Großer Aufruhr. Die Leute waren nervös! Ein Mädchen hat sogar angefangen zu weinen, hat gesagt, ›der soll mich nicht so ansehen, nicht so ansehen‹. Und dann ist der Professor Ploeger hingegangen, hat den Sessel umgedreht, hat gesagt: ›So, jetzt kann er dich nicht mehr ansehen!‹ Da hat sie sich ganz mühsam beruhigt. Das waren halt die Reaktionen. Es war schon schrecklich. Man ist dann in die Mittagspause gegangen mit irgendwelchen Atemstörungen richtiggehend. Man wäre am liebsten abgehauen, weil man Angst hatte, sich seinen Gefühlen zu stellen.«
Andreas Ploeger wirbt in derselben Radiosendung für das Psychodrama. Es sei ja nicht die Wirklichkeit, sondern nur eine Vorstellung. »Man kann aber diese Vorstellungen und die daraus konstruierten Stegreifspielszenen so verändern, dass sie ein besseres Fertigwerden, eine bessere Verarbeitung mit den aus der Situation entstandenen Ängsten und Affekten im Ganzen ermöglichen. Und diese Veränderung bewirkt dann auch ein Ablassen der Affekte oder ein Zurückgehen oder einen Einbau in die eigene Lebensgeschichte. Jedenfalls eine Neutralisierung und zugleich eben auch dadurch einen Rückgang der Irritation, die durch den Affekt 174 eben bei den Betroffenen geblieben ist und sich in den verschiedenen Symptomen manifestiert.«
Auch Jutta Knauff hat keine guten Erinnerungen. »Ich weiß noch, dass die erste Therapie in Aachen für mich grausam war. Wir schliefen in kleinen Zimmerchen, wir durften mit keinem anderen Menschen Kontakt haben, und die Tage waren sehr anstrengend, weil es immer nur um dieses eine Thema ging. Anschließend mussten wir für Forschungszwecke Fragebögen ausfüllen, sonst hätten wir ja diese Therapie überhaupt nicht bekommen. Abends gingen wir zusammen weg, aber nur in der Gruppe. Ich erinnere mich gut, im Nebenzimmer lag Dorothea, ich habe sie heulen gehört und bin zu ihr gegangen und habe mitgeheult. Am Ende dieser Woche war ich ziemlich fertig, und ich glaube einige andere auch.«
Ende Januar 1979 , nach den ersten Treffen der beiden Gruppen, ist Andreas Ploeger guter Dinge und schreibt den Teilnehmern Edelgard und Everhard Wolf von neuen Erfahrungen für seine Mitarbeiter und auch für ihn selbst, da die Gruppenarbeit wie erwartet doch anders ablaufe als bei psychisch Kranken.
Edelgard und Everhard Wolf haben in den Seminaren von Aachen und Damp 2000 wieder zueinandergefunden. Bis dahin hatte zwischen ihnen gestanden, dass Everhard Wolf seiner Frau in der »Landshut« Essen vom Teller nahm. Aus eigener Kraft war es beiden nicht möglich, dieses Thema zu bearbeiten, mit Hilfe von Andreas Ploeger schaffen sie es.
Am 28. März 1979 kündigt Andreas Ploeger eine nächste Sitzungsfolge wiederum in Aachen an. Gegen den Ort müssen – nach den Erinnerungen von Jutta Brod – die Betroffenen revoltiert haben, denn mit Datum vom 27. April 1979 teilt Andreas Ploeger seinen Klienten mit, dass nach einer Entscheidung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung die Therapie nicht in Aachen durchgeführt werden könne. Es sei vorgeschlagen worden, die nächste Sitzungsfolge in der Kurklinik Damp 2000 an der Ostsee durchzuführen. Für die Gruppe I soll der Termin zwischen dem 22. und 30. Mai 1979 stattfinden, für die Gruppe II zwischen dem 175 19. und 27. Juni 1979. Auch über diesen Behandlungsort wird es Klagen geben: Manche der »Landshut«-Opfer beschweren sich darüber, dass sie als Patienten mit psychischen Problemen auf einem gemeinsamen Stockwerk mit Kriegsversehrten und Contergan-Opfern wohnen. Wie bereits erwähnt, erreichte diese Klage auch die Berliner Bundestagsabgeordnete Lieselotte Berger.
Gabriele von Lutzau, die an den Gruppenbehandlungen in Aachen und Damp 2000 teilnimmt, reagiert enttäuscht: »Bei Professor Ploeger wurden wir [. . . ] mit den offenen Wunden wieder nach Hause geschickt«, so erinnert sie sich heute, »hinterher ging es mir richtig schlecht. Vorher war das Erlebte ja fast schon ein bisschen verheilt, da lag schon eine kleine Schutzschicht auf der Seele. Diese Schicht war jetzt wieder weg.«
»Das ist so wie bei Versuchskaninchen«, sagt sie heute, »die leider geköpft werden müssen, weil die Wirkung dessen, was man mit ihnen gemacht hat, nur an der Veränderung der Gehirnzellen
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